Protest und Gedenken in der Freisinger Innenstadt:Wie auf einem Schachbrett

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Trompeter Guido Langenstück spielt die Bayernhymne. (Foto: Marco Einfeldt)

Am Jahrestag der Reichspogromnacht sieht sich ein versprengtes Häuflein von 14 Deutschnationalen mehr als 200 Gegendemonstranten gegenüber. Ein Großaufgebot der Polizei achtet auf eine sorgsame Trennung der Lager - und darauf, dass niemand unter einen Stadtbus gerät

Von Christian Gschwendtner, Freising

Es ist wie ein Vorbote für das, was gleich kommen wird. Über die Innenstadt hat sich die Dunkelheit gelegt, die üblichen Nachzügler strömen zur besten Ladenschlusszeit aus den Geschäften, eine Flüchtlingsfamilie streift unbeachtet durch die Obere Hauptstraße. Kurz vor dem Kriegerdenkmal reißt sich das kleine Mädchen von der Hand der Mutter los, steuert fest entschlossen auf den Obelisken zu, streckt die Hand in Richtung des bronzenen Löwen und beginnt mit der Besteigung des Kriegerdenkmals. Eine filmreife Szene. Man kann das so in kein Drehbuch der Welt besser hineinschreiben: Das Mädchen ist unschuldig, das Kriegerdenkmal auch. Als die Mutter die herumstehenden Bereitschaftspolizisten bemerkt, zieht sie in einem Anflug von Panik ihr Kind auf weniger vermintes Terrain.

Das um das Monument herum verlaufende Absperrgitter ist so nicht mehr als eine Zierde. Doch wenig später werden hier über 200 Gegendemonstranten stehen, die das Bündnis "Freising ist bunt" zusammengetrommelt hat, weil eine Kundgebung der NPD angemeldet wurde. Erst aber findet sich die Menge vor dem Gebäude an der Bahnhofsstraße 4 ein, der ersten Station des heutigen Abends. Es ist das einstige Wohnhaus der Familie Neuburger. Die drei Geschwister Siegfried, Alfred und Emma wurden von den Nazis deportiert und 1941 in Litauen erschossen.

Die Freisinger wollen ihnen und anderen NS-Opfern an diesem 9. November gedenken, der ja ein historisch zutiefst vorbelasteter Tag ist. Sie wollen ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit setzen. Es reihen sich Jugendliche, Eltern, Studenten, Kinder, Rentner und Pärchen aneinander, man kann mit Fug und Recht von der Mitte der Gesellschaft sprechen, die sich hier versammelt hat. Kerzen werden angezündet, Sankt-Martins-Laternen geschwenkt, eine Frau singt etwas vom Leben in Frieden. Rührselige, herzliche Momente sind das.

Einen Hinweis, dass es um den Frieden derzeit nicht richtig gut bestellt ist, liefern die knatternden Walkie-Talkies der Freisinger Polizisten. Die Beamten selbst blicken wohlwollend auf das bunte Treiben, sorgsam darauf bedacht, dass keiner unter die Räder der heranrollenden Stadtbusse gerät. Mitorganisator Peter Floßmann überprüft noch einmal die Soundqualität des Mikrofons, an jedem der Stolpersteine hält er eine kurze Gedenkrede. Der farbenfrohe Pulk schiebt sich dann immer mehr mit seinen Transparenten und Schildern in Richtung Kriegerdenkmal, schließlich nimmt er es ganz ein.

Von der NPD-Kundgebung ist zunächst einmal nichts zu sehen. Das hat gleich mehrere Gründe. Der naheliegendste ist ein physikalischer. Die Gegendemonstranten von "Freising ist bunt" haben den NPDlern schlichtweg den Rücken zugekehrt. Was gut geschulte Adleraugen in etwa siebzig Meter Entfernung sehen könnten, wäre indes ohnehin nur ein versprengtes Häuflein von 14 Deutschnationalen.

Die Polizei hat die Demonstration der NPD und die Gegenkundgebung sorgsam von einander getrennt. Wie auf einem Schachbrett stehen sich die beiden Seiten gegenüber, eingerahmt von den Häuserzeilen der Oberen Hauptstraße und einem Großaufgebot an Polizeikleinbussen, die so eng aneinander geparkt sind, als wollte wirklich jemand eine Spielfeldmarkierung aufziehen. Freisings Polizeichef Ernst Neuner tingelt zwischen beiden Fronten hin und her, er sieht nach dem Rechten. Das Demonstrationsrecht sei im Grundgesetz verbürgt, sagt Neuner. Verbieten könne man eine NPD-Kundgebung in der Regel nur, wenn bei der Polizei eine akute Notsituation herrsche.

Um im Bild zu bleiben, muss man sagen, dass sich das Spielgeschehen in einer guardiolahaften Dominanz von Anfang an auf die Seite der "Freising ist bunt"-Veranstaltung verlagert hat. Hier wird munter gegen Fremdenhass andiskutiert, ein Trompeter gibt die Bayernhymne zum Besten, ein Gitarrist spielt den Bob Dylan-Klassiker "Blowin' in the wind". "In Zeiten der Flüchtlingskrise sind wir gefragter denn je", sagt Peter Floßmann. Er freut sich, dass noch mehr Freisinger als sonst dem Aufruf gefolgt sind. Auch Bürgermeisterin Eva Bönig (Grüne) dankt am Ende "allen Organisatoren und euch allen, dass ihr da seid". Um 20.17 Uhr ziehen die Freisinger dann in dem guten Gewissen nach Hause, ein wirkungsvolles Zeichen für Toleranz gesetzt zu haben.

Die NPD-Fraktion verschwindet so leise durch die Hirtlederergasse, wie sie gekommen ist. Weil sich vier deutschnationale Demonstranten in einem Audi mit Friedberger Autokennzeichen auf den Heimweg machen, sind es am Ende nur noch neun Männer und eine Frau, die von der Bereitschaftspolizei zum Bahnhof eskortiert werden. Es müssen sogar Fahnen eingerollt werden: es fehlt an stramm rechten Trägern. Auffallend an diesem Abend ist, dass die NPD nicht die kleinste Anstrengung gezeigt hat, sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben. Stattdessen: Fackeln, Glatzen, Biergesichter. Als einer aus dem Trüppchen kurz vor dem Bahnhof noch einmal eine maximal unverständliche Parole raunzt, stehen drei junge Menschen mit dem berühmten Migrationshintergrund, über den jetzt alle reden, am Wegrand. Nike Air Max am Fuß und ein spöttisches Grinsen im Gesicht. Sie rufen: "Lernt doch erst mal richtig Deutsch." Gebeugt ziehen die NPDler von dannen. Noch ein paar Biere bei Yorma's. Dann steigen sie um 21.10 Uhr in den RE 4085 in Richtung Münchner Hauptbahnhof. Die Freisinger sind froh sie wieder los zu sein.

© SZ vom 11.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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