Pächter von Müller-Brot-Filialen:"Das war alles, was ich hatte"

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Die Pächter von Müller-Brot-Filialen sind verzweifelt. Sie haben ihr Kapital verloren, ihre Lebensgrundlage - und vor allem das Vertrauen in die Manager.

Katja Riedel

Nicht nur die Stimme von Christiane Klemm bricht. Ihre ganze Welt, ihre Vergangenheit und das, was sie bis vor kurzem noch für ihre Zukunft gehalten hatte, bricht in diesem Augenblick zusammen. Christiane Klemm steht am Wochenende im Foyer des Gasthofs Hepting in Massenhausen und sagt immer wieder: "35.000 Euro, fünf-und-drei-ßig-tau-send". Sie betont jede Silbe. In ihren Augen stehen Tränen. "Alles ist weg. Das war alles, was ich hatte. Wie soll es jetzt nur weiter gehen?"

Wie soll es jetzt nur weiter gehen? Das fragen sich auch die anderen Pächter und Verkäufer der Müller-Brot-Filialen. (Foto: dapd)

Das fragen sich auch die anderen Pächter und Verkäufer der Müller-Brot-Filialen, die zwei Tage, nachdem Müller-Brot einen Antrag auf Insolvenz gestellt hat, in die Dorfgaststätte im Neufahrner Ortsteil gekommen sind. Der Gasthof ist ein Traditionsbetrieb, an den Wänden hängen die Siegerurkunden des Wirtssohns. Er war Schützen-Weltmeister. Schon Franz Josef Strauß hat auf einem der abgewetzten Stühle gesessen und seine Haxen gegessen. Hier wird am Samstag über die Zukunft der ältesten Großbäckerei der Welt verhandelt. Es geht um Müller-Brot, die Erfinder der Industriesemmel, und diejenigen, die davon bisher gelebt haben.

61 Jahre ist Christiane Klemm alt, vor eineinhalb Jahren hat sie ihre Rentenversicherung aufgelöst, um noch einmal einen Neuanfang zu wagen, gemeinsam mit ihrem Mann. Ihr ganzes Arbeitsleben haben sie hinter dem Bäckereitresen gestanden, früher für Kamps, nun für Müller-Brot. Zwei Filialen haben die beiden Düsseldorfer im Jahr 2010 in Traunstein übernommen, um im Alter nah bei den Kindern zu sein. 35.000 Euro haben sie als Kaution für die Einrichtung an Müller-Brot gezahlt. Das Unternehmen habe keine Bankbürgschaft akzeptiert, wie früher bei Anderen, sondern auf Bargeld bestanden, erzählen die Klemms.

Und nun? Gerade hat der vorläufige Insolvenzverwalter Hubert Ampferl ihnen und den anderen Franchisenehmern der Bäckereikette gesagt, dass ihr Geld, allem Anschein nach, weg ist. Es ist genauso weg wie schon die Kunden. Seit der Hygieneskandal bei Müller-Brot bekannt geworden ist, sind ohnehin immer weniger Menschen in die Filialen gekommen. Gerade mal ein Viertel des üblichen Umsatzes haben die meisten Pächter erzielt.

Nicht nur Familie Klemm hat Angst. Die Pächter fürchten, dass die Skandalfirma, deren Namen ihre Bäckereiläden tragen, sie mit in den Abgrund reißt. Im großen Saal hinter den Türen, die so idyllisch wirken mit ihren bunten Glasintarsien, sitzen diejenigen, die die Pleite von Müller-Brot am härtesten trifft - und die am wenigsten für das können, was sich in der Großbäckerei in den vergangenen Jahren abgespielt hat. Ganz vorne im Saal steht Hubert Ampferl, der Insolvenzverwalter. Ein Mann in einem dunklen Nadelstreifenanzug. Mit Weste und roter Krawatte. Ein 43-jähriger Rechtsanwalt, auf dem nun die letzten Hoffnungen der Pächter im Saal liegen. Schafft er es, wenigstens einen Teil von Müller-Brot zu retten? Oder bleibt auch ihm nichts anders übrig, als Müller-Brot abzuwickeln?

Immer wieder klappt die Flügeltür auf. Wut und Verzweiflung steht auf den Gesichtern derer, die den Saal verlassen, vor der Tür rauchen oder wild gestikulierend telefonieren, während Ampferl drinnen spricht. Sehr emotional seien die einen gewesen, sehr rational die anderen, wird Ampferl später sagen. Er wählt seine Worte vorsichtig, auch er hat es nicht leicht an diesem Tag: Er will nichts beschönigen, aber auch nichts dramatisieren. Und er will die vielen Fragen der Pächter beantworten. Woher bekommen wir unsere Waren? Wie sollen sie nur weitermachen?

Auf diese Fragen, erzählt Elke Kulbock, hätten sie vor der Insolvenz keine einzige Antwort bekommen. Sie hätten alles nur aus der Presse erfahren, sagt sie. Einmal sei sie mit einem Anruf im Vorzimmer des Geschäftsführers gelandet. Der werde sie zurückrufen, habe die Sekretärin versprochen. Darauf wartet sie bis heute. Seit 20 Jahren führt sie ihre Filiale in Deggendorf. Sie hat sich auch der Pächterinteressengemeinschaft angeschlossen, einem Bündnis von mehr als 100 Franchisenehmern, die sich einen gemeinsamen Anwalt nehmen wollen.

Christian Preiherr koordiniert die Initiative, seine Frau betreibt eine Filiale in Murnau. Er selbst führt eine andere Firma, von dort hat er Mitarbeiter abgezogen, die sich um die Belange der Müller-Brot-Pächter kümmern. "Der Insolvenzverwalter", sagt Preiherr, "scheint ein guter Mann zu sein. Er hat uns gesagt, dass er jede Woche eine Insolvenz habe. Aber sowas wie bei Müller-Brot, das habe er noch nicht gesehen." Die Konten sind leer. Der Maschinenpark veraltet. Der bauliche Zustand der Fabrikhallen: sanierungsbedürftig.

Dass sie jetzt vor dem Nichts stehen, macht die Pächter wütend. Einige wollen sofort aus ihren Verträgen heraus. Andere zögern, sie hoffen noch, dass ein neuer Investor sie vielleicht retten kann. Babic Amberger gehört nicht dazu. "Retten? Hier gibt's nichts mehr, das man retten könnte", sagt sie. Bis vor drei Wochen hat ihr Laden in Bad Wiessee sie ernährt, ihre beiden Kinder, und auch ihre drei Mitarbeiter. Jetzt sei sie am Ende.

© SZ vom 20.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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