Neue Unabhängigkeit für Menschen mit Behinderung:Endlich raus von Zuhause

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In Marzling leben Menschen mit geistiger Behinderung in einer betreuten Wohngemeinschaft der Lebenshilfe zusammen. Vorher haben sie bei ihren Eltern gewohnt, jetzt gestalten sie ihren Alltag weitgehend eigenständig

Von Gudrun Regelein, Marzling

Eigentlich sollten die Bewohner der ersten ambulanten Wohngemeinschaft für Menschen mit Behinderung im Landkreis Freising schon Anfang Mai in ihr neues Zuhause einziehen. Drei junge Männer und eine Frau wollten in einem Reihenhaus in einem Marzlinger Wohngebiet ein möglichst selbstbestimmtes und selbständiges Leben führen - trotz ihrer geistigen Behinderung. Da aber nicht genügend Betreuer gefunden wurden, musste damals der Start verschoben werden. Nun ist das innovative Vorhaben der Lebenshilfe Freising ganz gescheitert.

"Es gab leider viele Hürden", sagt Lebenshilfe-Geschäftsführer Michael Schwaiger. So wäre beispielsweise die in Aussicht gestellte Kostenübernahme nicht ausreichend gewesen, um den notwendigen Betreuungsbedarf zu decken. "Wir waren alle noch nicht soweit, diese Form einer Wohngemeinschaft umzusetzen. Jetzt müssen wir einfacher denken." Das ursprüngliche Konzept - eine relativ selbständige WG für schwerstbehinderte Menschen, die in Kooperation mit der Caritas durch einen ambulanten Pflegedienst betreut werden sollte -, wolle man aber nach wie vor gerne umsetzen. "Auch Menschen mit Behinderung sollten ihren Wohnort frei wählen können", betont Schwaiger. Nachdem aber das Haus in Marzling bereits seit einigen Monaten leer gestanden war, habe man sich entschlossen, es für das betreute Wohnen zu nutzen. Seit Oktober wohnen nun drei geistig behinderte Männer und eine Frau - eine zweite Frau wird dann noch im November dort einziehen - in einer sogenannten Trainingswohngruppe zusammen. In zwei, maximal in fünf Jahren, sollen sie dann ambulant betreut leben können. "Das ist das Ziel", sagt Franz Kratzer, Einrichtungsleiter betreutes Wohnen und ambulant unterstütztes Wohnen der Lebenshilfe Freising. Finanziert wird das betreute Wohnen durch Pflegeleistungen und Eingliederungshilfeleistungen - und im Unterschied zur ursprünglich geplanten ambulanten Wohngemeinschaft - gibt es dort eine Betreuung rund um die Uhr.

Insgesamt sind dort sechs Lebenshilfe-Mitarbeiter in Teilzeit beschäftigt, auch nachts schläft ein Betreuer im Haus. Tagsüber arbeiten die Bewohner in der Lebenshilfe-Werkstatt, am späten Nachmittag kommen sie zurück. "Dann geht es gemeinsam darum, den Lebensalltag zu strukturieren", berichtet Kratzer. Was soll gekocht werden, welche Hausarbeiten stehen an: ganz normale Alltagsfragen werden besprochen. "Oberste Prämisse aber ist, dass es den Bewohnern gut geht", betont der Einrichtungsleiter. Manchmal schaue man auch nur gemeinsam Fernsehen oder spiele Playstation. "Wir wollen den Alltag ganz normal gestalten", erklärt Kratzer. Deshalb sei auch der Standort in einem ganz normalen Wohngebiet perfekt, gerne würde man auch in der Gemeinde aktiv sein. Kratzer zumindest sieht eine gute Chance, mit der Marzlinger Wohngemeinschaft etwas anzustoßen, "auch im Sinne des Inklusionsgedankens". Marzlings Bürgermeister Dieter Werner findet es "sehr gut", das es in seiner Gemeinde die neue Wohngemeinschaft gibt. Eine wirkliche Integration könne nur dort stattfinden, wo Menschen miteinander leben, sagt der Bürgermeister. Er stehe dem Projekt sehr offen gegenüber: "Über ein Treffen mit unseren neuen Bürgern würde ich mich sich freuen." Er hoffe, dass über das Netzwerk Marzling bald viele Kontakte geknüpft werden.

Momentan stehe man noch ganz am Anfang, müsse sich noch an das neue Leben gewöhnen, berichtet Franz Kratzer. Fast alle Bewohner hätten bislang Zuhause bei ihren Eltern gewohnt. Jetzt befänden sie sich in einer Übergangsphase hin zu einem eigenständigen Leben. "Aber es läuft gut. Alle fühlen sich sehr wohl in ihrer neuen Wohngemeinschaft. Die sind glücklich, etwas Eigenes zu haben und trotzdem gemeinsam zu wohnen", sagt der Einrichtungsleiter.

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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