Neue Heimat in Freising gefunden:"Einfach ein normales Leben"

Lesezeit: 4 min

Koch Kamaljit Singh Multani kam 1993 aus der nordindischen Stadt Pehowa nach Bayern. Heute leitet er mit seiner Frau ein Restaurant, mag Biergärten, bayerische Volksmusik und deutsche Bäckereien

Von Jenny Schößler, Freising

Es ist Oktober 1993, für den Herbst liegt ein ungewöhnlich frostiger Wind in der Luft, als der junge Koch Kamaljit Singh Multani aus der nordindischen Stadt Pehowa am Münchener Flughafen ankommt. Wochen zuvor hatte der Inder einen Anruf von seinem Cousin erhalten, ob er ihm in seinem Restaurant in Freising aushelfen will. "Als ich hier gelandet bin, hab ich zum ersten Mal Schnee gesehen und es war kalt", erinnert sich Multani zurück an seinen allerersten Tag in Deutschland. Verglichen zu den 30 Grad Celsius Durchschnittstemperatur in Nordindien muss der erste Winter in Deutschland dem Inder wie die Eiszeit vorgekommen sein.

Der Arbeit wegen hatte der gelernte Koch nicht lang gezögert und war kurzerhand ins 6800 Kilometer entfernte Bayern gereist. "Das erste Jahr hab ich mich nicht gut gefühlt. Anfangs hab ich auch nicht alles verstanden. Mein Cousin musste mir immer helfen", erzählt Multani. Mit dem Gedanken womöglich länger in Deutschland zu bleiben, wollte er aber die deutsche Sprache lernen, also besuchte der Inder schon kurz nach seiner Ankunft drei Monate lang die Volkshochschule

"Die deutsche Sprache ist schwierig. Verstehen ist einfach, aber perfekt sprechen kann ich es immer noch nicht." Multani lebt mittlerweile seit knapp 23 Jahren in Bayern, anfangs zwar in München, aber nun schon seit vielen Jahren in Freising. Was ihm vor allem geholfen hat die Sprache zu lernen, waren die Gäste im Restaurant, erzählt er. Sich mit ihnen zu unterhalten, habe ihm das Meiste beigebracht. Genauso wie Zeitung zu lesen.

Wenige Jahre später, nachdem er schon fest in Deutschland wohnte, kam Multanis Frau aus seiner Heimatstadt nach. Die Beiden leiten inzwischen das "New Indian Palace" Restaurant in Freising und haben zwei in Deutschland geborene Kinder: eine neunjährige Tochter und einen zwölfjährigen Sohn. Etwas belustigt redet der Familienvater über die Sprachenkonstellation bei ihnen Zuhause: "Meine Frau und ich sprechen Indisch miteinander, unsere Kinder aber reden Deutsch. Wir selber reden mit ihnen Indisch und Deutsch." Da hat wahrscheinlich die Bilingualität ihren Teil dazu beigetragen, dass der Sohnemann aufs Gymnasium geht, wie der Papa ganz stolz erzählt. Die Tochter geht noch zur Grundschule. Auch wenn beide Kinder in Deutschland geboren worden sind, fliegen sie ab und an mit nach Indien, wenn Multani und seine Frau noch mal zurück in ihre Heimat wollen. "Ich bin froh, dass meine Kinder hier Deutsch lernen. Und mir gefällt Deutschland auch, trotzdem vermisse ich meine Heimat und meine Eltern." Einmal im Jahr fliegt Multani deshalb nach Indien und trifft seine Familie.

In Erinnerung schwelgend erzählt er wie sein Vater jeden Morgen früh aufgestanden ist, um zum Tempel in seiner Stadt zu laufen und zu beten. Multani gehört der Sikh-Religion an, einer im 15. Jahrhundert in Nordindien entstandenen Reform-Bewegung. Um seine Religion auch hier in Deutschland ausleben zu können, besucht er jeden Sonntag den Sikh-Tempel in München. "Da wird auch die indische Kultur und die indische Sprache unterrichtet", sagt er. Dass Indien ein "Kulturland" ist, wie Multani es nennt, erkennt jeder Gast sofort an den vielen indischen Gemälden und Statuen in seinem Restaurant. Die Einrichtung besteht nicht nur aus reinen Requisiten, sondern bedeutet für den Inder ein Stück Heimat und Kultur mitten in Bayern. Alles stammt aus Indien und verbindet das Lokal mit seinem Zuhause. "Indien ist ein Land mit großen und alten Traditionen. Zum Beispiel jedes Mal wenn ich nach Indien fliege, besuche ich den goldenen Tempel in Amritsar." Dass es auch in Bayern so einige Traditionen gibt, stellte der Restaurantbesitzer schnell fest. Man könnte fast schon sagen, dass die bayerischen Biergärten den Inder eingedeutscht haben, so sehr mag er die Biergärten hier. Vor allem die bayerische Volksmusik hat es Multani besonders angetan: "Ich finde die Musik lustig. Dazu zu tanzen und zu feiern mag ich." Auf die Frage was er sonst noch so an Deutschland mag antwortet er prompt: "Die deutsche Bäckerei!" Er und seine Frau seien schon viel in der Welt gereist, und für sie beide sei die Bäckerei in Deutschland die beste auf der Welt. Butterbrezen und Semmeln haben sich auf dem Tisch der indischen Familie bewährt und sind da auch nicht mehr wegzudenken, was schon beachtlich ist, wenn man bedenkt, dass es um den Tisch eines traditionellen indischen Koches geht.

Der Arbeit wegen ist Koch Kamaljit Singh Multani 1993 ins 6800 Kilometer entfernte Bayern gereist. Heute leitet er das Restaurant "New Indian Palace". (Foto: Marco Einfeldt)

Eine weitere deutsche Tradition hat sich durch die Kinder in die Familie geschlichen: das Weihnachtsfest. "Bei uns Zuhause in Indien gibt es kein Weihnachten, aber meine kleine Tochter liebt Weihnachten. Seit sie in den Kindergarten geht, wünscht sie sich immer einen Weihnachtsbaum. Im ersten Jahr hat sie sich sogar einen ganz kleinen im Kindergarten selber gebaut," erzählt der Familienvater lachend. Ihr Sohn sei dagegen kein so großer Weihnachtsfan, er mag da lieber nur die Geschenke.

Das und der Umgang mit der Sprache zeigen den Spagat zwischen den in Deutschland aufgewachsenen Kindern und den aus Indien stammenden Eltern. Multani gibt auch selber zu, dass er auf jeden Fall noch so lange in Deutschland bleiben will, bis seine Kinder fertig mit der Schule sind. Ob er danach hier bleibt oder wieder nach Indien zieht, weiß er noch nicht. Seine Kinder wollen auf jeden Fall hier bleiben, sagt er.

Das treibt aber keinen Keil zwischen die Familie, ganz im Gegenteil. Das Restaurant ist fast schon ein Familienbetrieb, da Multani das Lokal gemeinsam mit seiner Frau betreibt und alle ein Stück mithelfen, um den Gästen gutes Essen bieten zu können. "Meine Freunde sind meine Gäste," lacht der Inder, "Einmal wurde ich sogar auf eine Party nach München eingeladen und wir haben die ganze Nacht lang gefeiert." Wären seine Gäste nicht so freundlich gewesen, wäre es ihm um einiges schwerer gefallen, hier in Deutschland anzukommen, verrät er. Als Dankeschön hat er sich deswegen einige Specials überlegt, wie das Sonntagsbuffet oder die Ladies Night jeden Montag. "Frauen haben ja ihre Freundinnen und erzählen das dann hoffentlich weiter", fügt er mit einem kleinen Zwinkern hinzu. Egal ob er für immer in Deutschland bleiben wird oder irgendwann zurück nach Indien zieht, eines wünscht sich der bescheidene Familienvater dann doch: "Einfach ein normales Leben."

© SZ vom 02.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: