Nachdenklicher Abend:Poesie, die uns nährt

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Zum Auftakt der Sommer-Kultur-Nächte tragen Schauspieler Texte über Flucht, Gewalt und Zukunftssorgen vor. Die Inszenierung von Alexander Veit verstärkt das Bild einer Gesellschaft am Abgrund

Von Clara Lipkowski, Freising

Wolfgang Steger, Arno Bosl, Matthias Eder und Vroni Schweikl (von links) tragen Texte im Renaissancehof vor. (Foto: Marco Einfeldt)

Es ist ein nachdenklicher Abend, mit dem die diesjährigen Sommer-Kultur-Nächte am Donnerstag auf dem Domberg starten. Unter wolkenverhangenem Himmel treten vier Künstler auf die Bühne im Renaissancehof auf dem Domberg. Sie stellen sich vor den großen Holztisch, weiße Zettel in der Hand und setzen nacheinander an: "Wenn man für sich selber schon nichts mehr Erregendes erwartet, aber man rührt sich noch und man lebt immer bewusster, lebt wild vor sich hin, sagt blind ja zu allem, wie ein Herzschlag, der auf die Finsternis einschlägt (...), dann werden die Wahrheiten ausgesprochen, die barbarischen, schrecklichen, zärtlichen Grausamkeiten."

Flucht, Vertreibung, Gewalt und Zukunftssorgen sind die Themen des Abends. 19 Texte spanischer und lateinamerikanischer Autoren hat sich Regisseur Alexander Veit vorgenommen. Zwar seien die Texte aus dem 20. Jahrhundert, sagt Claudia Pfrang, Direktorin der Stiftung Bildungszentrum, zu Beginn der Veranstaltung, sie seien aber auch heute noch aktuell. "Gerade in der schnelllebigen Zeit, in der wir leben, brauchen wir Poesie." Und Schauspieler Wolfgang Steger schließt daran an: "Poesie stillt keinen Hunger. Und doch ernährt sie uns."

Wohl wegen des Wetters kamen nur rund 40 Zuhörer auf den Domberg. (Foto: Marco Einfeld)

Die Künstler verharren immer wieder in Miniaturen um den Holztisch. "Es ist die Versammlung um den Tisch, das Zentrum des Lebens" sagt Veit, kurz: "Tischtheater." Wie abwesend sprechen die Schauspieler Arno Bosl, Matthias Eder, Veronika Schweikl und Wolfgang Steger. Sie blicken ins Leere, zeichnen mit Stiften Visionen oder Wünsche in die Luft, nur manchmal werden sie aufbrausend, oft wiederholen sie die Zeilen wie im Echo. Sehr spärlich unterlegt Veit die theatralische Lesung mit Musik, einzelne, nachklingende Klavierakkorde verstärken das Gefühl, der Abend drehe sich um eine Gesellschaft am Abgrund.

Irgendwann werden im Publikum Plastikponchos verteilt, es droht zu regnen, aber es bleibt bei ein paar Tropfen. Dennoch hat das Wetter wohl Interessierte abgeschreckt, nur etwa 40 Zuschauer sind auf den Domberg gekommen. Mit dem Programm hat das Döpfner-Haus den Regisseur Alexander Veit nach seiner bis dahin letzten Inszenierung 2011 mit dem Ensemble Theatersommer wieder zu den Sommer-Kultur-Nächten auf den Domberg geholt. Die Zuschauer folgen der Inszenierung andächtig, manchmal mit fragenden Blicken. Als die Künstler die Bühne verlassen, herrscht erst einmal Stille. Erst dann wird lange applaudiert.

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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