Mut, den kranken Partner abzugeben:Ein wunderbares Angebot

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Im Café Miteinander singen die Betreuer, die Caritas-Bufdi, die ehrenamtliche Betreuerin und die Gruppenleiterin mit ihren Besuchern. (Foto: Marco Einfeldt)

Im Café Miteinander werden an Demenz erkrankte Menschen in heiterer Atmosphäre betreut. Der Nutzen für Patienten und pflegende Angehörige ist groß, doch der Caritas mangelt es an ausgebildeten Helfern

Von Gudrun Regelein, Freising

An diesem Vormittag wird im Café Miteinander gesungen. Ein alter Herr klopft im Takt, die anderen fünf Besucher aber - vor allem ältere Damen - singen laut "Horch, was kommt von draußen rein" mit oder summen die Melodie. "Zuhause haben wir nicht so viel gesungen", sagt eine, als der letzte Ton verklungen ist. Zwischen ihr und Gruppenleiterin Martina Schürmann entspinnt sich ein reges Gespräch über vergangene Zeiten. "So, jetzt haben wir uns eine Pause verdient", sagt Schürmann. Sie und die beiden Betreuerinnen verteilen Apfelkuchen und schenken Kaffee ein. Es herrscht eine heitere Atmosphäre, die Gäste unterhalten sich - dass alle demenzkrank sind, erkennt man nicht. Das Café Miteinander sei ein wunderbares Angebot, nicht nur, weil es pflegende Angehörige zumindest für einige Stunden entlaste, sagt Doris Burghart-Kirsch von der gerontopsychiatrischen Fachberatung der Caritas Freising. Sondern auch für die Gäste selber: "Niemand geht traurig raus. Es wird gescherzt, geplaudert und gesungen", erzählt Burghart-Kirsch. Es sei für demenzerkrankte Menschen wichtig, einmal andere Gesprächspartner und andere Themen zu haben, betont die Sozialpädagogin. "Die Gäste entdecken eigene Fähigkeiten wieder. Es werden Äpfel geschnippelt, Kuchen gebacken oder gebastelt - und durch gezieltes Nachfragen immer auch ein Gedächtnistraining praktiziert."

Die Betreuung in den Gruppen mit Demenzerkrankten ist sehr intensiv, der Schlüssel liegt bei 1:3. Und genau das ist das Problem: "Derzeit mangelt es uns an Helfern für das Café Miteinander." Eigentlich soll im November ein Qualifizierungskurs für Demenzhelfer stattfinden, aber noch fehlen Interessenten. "Im worst case, also wenn wir nicht genügend Betreuer haben, können wir die Gruppen nicht mehr anbieten", sagt Burghart-Kirsch.

Die Entlastung für pflegende Angehörige sei "unglaublich wichtig", denn für die meisten Familien bedeute eine Demenzerkrankung ab einem bestimmten Punkt eine absolute Extremsituation. Spätestens, wenn die Erkrankten von den pflegenden Angehörigen nicht mehr alleine gelassen werden können. "Viele Angehörige gehen absolut an ihre Grenzen", sagt Burghart-Kirsch. Belastend seien auch - je nach Art der Demenzerkrankung - die irritierenden Wesensveränderungen beim erkrankten Partner. Dessen Unruhe, das In-sich-Zurückziehen, das Anderssein und die teilweise mangelnde Hygiene. "Demenz bedeutet, das alles was man geplant hat, der ganze Lebensplan, zusammenbricht."

Dennoch würden sich die meisten Familien erst zu einem sehr späten Zeitpunkt Hilfe holen, dann, wenn die Verzweiflung schon sehr groß ist, berichtet Marianne Lieb von der Arbeiterwohlfahrt in Moosburg. Gemeinsam mit Edith Wesel von der Caritas Freising berät und betreut sie in der Fachstelle für pflegende Angehörige und in der Koordinierungsstelle für niedrigschwellige Betreuung betroffene Familien. 2015 waren es bei Marianne Lieb, die für den nördlichen Landkreis zuständig ist, noch rund 180 Beratungen, in diesem Jahr werden es mit etwa 240 bereits wesentlich mehr sein.

Viele Betroffene schämten und isolierten sich - denn noch immer bedeute eine Demenzerkrankung für viele eine Stigmatisierung, schildert Lieb. "Diese Familien müssen erst wieder lernen, Kontakte aufzubauen", sagt die Beraterin. Manche der Angehörigen aber fühlten sich in einem so hohem Maße verpflichtet, dass es ihnen sehr schwer falle, loszulassen und Hilfe anzunehmen. Auch wenn sie selbst wüssten, dass sie die Pflege eigentlich nicht mehr alleine schaffen. Das Hilfsnetz im Landkreis sei zumeist eng gespannt, wenn auch Lieb gerade in den ländlicheren Regionen noch große Lücken in der Versorgung sieht. Betreuungsgruppen beispielsweise gebe es nur in Moosburg und Freising. "Für Angehörige, die außerhalb wohnen, macht es oft wenig Sinn, für zwei freie Stunden den Aufwand einer längeren Anfahrtszeit in Kauf zu nehmen", sagt Lieb.

Das Café Miteinander aber biete einen guten Einstieg, sich einmal zu trauen, seinen Partner "abzugeben". Andere Angebote sind der ambulante Pflegedienst, die Tagespflege und die hauswirtschaftliche Versorgung. Zudem können sich Angehörige in eigenen Gruppen austauschen oder an einer Schulung für pflegende Angehörige teilnehmen. Lieb rät zu einem Baukastensystem: "Langsam anfangen und dann staffeln." Seit der Einführung des neuen Pflegestärkungsgesetzes im vergangenen Jahr gebe es zum Glück für Pflegeleistungen auch mehr Geld - gerade im Bereich der Tagespflege.

Bis zu 1,6 Millionen Menschen sind laut Bundesministerium für Gesundheit bereits heute an Demenz erkrankt. Etwa 70 Prozent werden zu Hause durch Angehörige gepflegt. "Dass auch wir von dem Thema Demenz - in welcher Form auch immer - betroffen sein werden, ist sehr wahrscheinlich", sagt Doris Burghart-Kirsch.

Wer Interesse an dem Qualifizierungskurs für Demenzhelfer hat, kann sich an Edith Wesel bei der Caritas Freising wenden (Telefon: O8161/53 87 910; Mail: Edith.Wesel@caritasmuenchen.de).

© SZ vom 24.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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