Mitten in Freising:Stoff für einen Schicksalsroman

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Die Pflastersteine in der Altstadt werden ausgetauscht - ihre weitere Zukunft ist ungewiss

Von Johann Kirchberger

Sie haben es nicht leicht, die Pflastersteine auf dem Marienplatz. Seit Jahrzehnten werden sie getreten, ständig wird auf ihnen herumgetrampelt, während des Wochenmarkts oder beim Altstadtfest ist es besonders schlimm. Ab und zu werden sie gereinigt, von einer Maschine. Früher, da kamen Männer vom Bauhof mit einem Besen, das waren noch so etwas wie Streicheleinheiten. Aber jetzt werden sie grob gebürstet, wird nur darauf geachtet, ob der Abstand zu ihren Nachbarn stimmt. Wenn nicht, wird Sand zwischen sie geschüttet. Wie soll sich da unter den Pflastersteinen ein Liebesleben entwickeln?

Geschrieben wurde bisher auch nichts über die Pflastersteine. Nicht einmal der Historische Verein hat daran gedacht, einen Sammelband herauszubringen. Weil sie angeblich gar nicht historisch sind und erst in den Siebzigerjahren verlegt wurden. Dabei weiß niemand, wann und wo sie tatsächlich aus einem Fels geschlagen wurden und ihre heutige Form erhalten haben. Bekannt ist nur, dass sie seinerzeit aus der Tschechoslowakei geholt wurden, gebraucht. Wie lange sie vorher schon getreten wurden und von wem, das wurde nie erforscht. Sie wurden einfach von Lastwagen angekarrt und neu verlegt.

Ersatz waren sie, für die legendären Isarkiesel. Große Steine aus dem Fluss, alle etwas unförmig, keiner glich dem anderen. Dementsprechend mühsam war es, darauf zu gehen. Wer nicht gerade mit genagelten Bergschuhen unterwegs war, spürte sie bei jedem Schritt. Nicht nur Frauen mit Stöckelschuhen taten sich hart. Vom Hennaaugn-Pflaster - übersetzt Hühneraugenpflaster - war die Rede, womit nicht das aus der Apotheke gemeint war. Inzwischen ist das Geschlecht der Isarkiesel wahrscheinlich ausgestorben, niemand weiß, ob es noch irgendwo Abkömmlinge gibt.

Den Nachfolgern auf dem Marienplatz droht nun das gleiche Schicksal. Wieder war es die Damenwelt, die so lange aufschrie, wenn wieder einmal ein Stöckel brach, bis sich die Männer im Stadtrat zu einem Austausch bereit erklärten. Was aus den Pflastersteinen wird, was sie erwartet, darüber ist nichts bekannt. Werden sie in einen Kiesweiher geschüttet, der aufgefüllt werden muss oder werden sie irgendwohin verkauft, womöglich nach China?

Breite, angeblich besonders gut begehbare Pflastersteine aus dem Bayerischen Wald sollen sie ersetzen. Aus Berbinger Granit, glatt und unpersönlich, ohne Ecken und Kanten. Sie sollen sich ganz nahe aneinanderschmiegen. Trotzdem, es wird viel Zeit vergehen, bis diese Steine einmal als historisch gelten werden. Dann, in ferner Zeit, wird vielleicht sogar einmal ein Buch über sie geschrieben. Ein Schicksalsroman über das Liebesleben der Pflastersteine, mitten in Freising.

© SZ vom 02.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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