Mitten im S-Bahn-Chaos:Nichts für schwache Nerven

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Warum es manchmal sehr gut ist, keinen Koffer dabeizuhaben

Von Marlene Krusemark

Jeden Morgen wie geplant den Regio um 8.52 Uhr vom Münchner Hauptbahnhof nach Freising zu bekommen, ist Utopie - das weiß man als abgeklärter Pendler. Auch, dass der Münchner Hauptbahnhof um diese Uhrzeit kein Ort für schwache Nerven ist. Schlechte Laune, ausgefallene Züge und kleinere Personenkarambolagen sind an der Tagesordnung - treten aber selten so gehäuft auf wie am Mittwochmorgen. "Oberleitungsstörung" ist das geflügelte Wort am Gleis.

Ein Bahnmitarbeiter erklärt einem verzweifelten Reisenden in perfektem Deutsche-Bahn-Englisch: "The metro works, you have to go down." Ob man denn, wenn man nach Freising wolle, die S-Bahn nehmen könne? Schließlich ist auch noch Baustelle zwischen Moosach und Oberschleißheim. "Ja, ja", heißt es. Die MVG-App weiß etwas mehr als der uniformierte Mann mit dem silbernen Siegelring und dem Klemmbrett - man muss erst mit der U-Bahn nach Feldmoching. Dass dann in Feldmoching keine S-Bahn wartet, dürfte eigentlich nicht überraschen - trotzdem ist die Verwirrung groß, als plötzlich stromlinienförmig Menschenmassen vom S-Bahn-Gleis durch die Unterführung Richtung Josef-Frankl-Straße steuern. Es gebe einen Schienenersatzverkehr, heißt es. Auf die Frage, ob man wisse, wo oder wann genau dieser fahre, stößt jeder stoßgebetartig "Ich habe keine Ahnung" aus. Linien- und Ersatzbusse fahren die Josef-Frankl-Straße auf und ab, Leute wechseln hektisch die Straßenseite, ebenso hektisch wechseln die Busse ihre Endziel-Anzeige. Die Verwirrung ist komplett.

Er kommt dann doch irgendwann, der rote Bus mit der verheißungsvollen Aufschrift "Freising/Flughafen". Es kommt Bewegung in die Menge, einige rennen, andere lachen nur noch. Im Bus herrscht kurz allgemeine Erleichterung - jetzt wird alles gut. Ein paar Motivierte holen Arbeitsunterlagen aus ihren Aktentaschen, andere tauschen ihre persönlichen Leidensgeschichten dieses Morgens im Pendlerwahnsinn aus. In Oberschleißheim stehen zwei rauchende, Bier trinkende Männer vorm Bahnhofskiosk und beobachten die aufgeregte Menschentraube, die in die Unterführung läuft - kollektiv am letzten Gleis merkt, dass es das falsche ist, wieder zurückrudert. Die S-Bahn nach Freising steht schon da, nun ist es wirklich geschafft. Immerhin hatte man keinen Koffer dabei.

© SZ vom 10.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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