Mitten im Landkreis:Nichts ist mehr so, wie es war

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Heutzutage gibt es für alles und jeden einen Stammtisch - neuerdings auch für Gottlose

Von Alexander Kappen

Früher war so ein Stammtisch noch eine honorige Angelegenheit. Da saßen im Dorf dann meist die Großkopferten wie der Bürgermeister, Arzt, Apotheker, Lehrer und Förster zusammen. Und wohlhabende Bauern natürlich. Halt jeder, der in der Gemeinde was zu melden hatte. Heute ist der Sozialstatus-Schnickschnack längst passé. Am Stammtisch werden, fernab jedes Standesdünkels, ganz einfach soziale Beziehungen gepflegt, man erfährt den örtlichen Klatsch und Tratsch. Und vor allem in den Städten haben sich inzwischen auch viele Stammtische zu speziellen Themen gebildet, an denen sich die Mitglieder dann - falls nicht schon alles in der gemeinsamen Facebook- oder Whatsapp-Gruppe gesagt worden ist - über ihre gemeinsamen Interessen austauschen.

So gibt es im Landkreis nicht nur Stammtische für Eltern, Rentner und Gartler, sondern auch Spanisch-, Italienisch- und Englisch-Stammtische. Was ganz praktisch ist, weil man da im Gegensatz zum Abendkurs an der VHS womöglich das eine andere landestypische Getränk zur Hand und, wenn Lambrusco, oder Sangria die Zunge ein wenig gelockert haben, viel besser in der fremden Sprache ins Parlieren kommt. Der Stammtisch "3 bis 5" wiederum hat den Vorteil, dass man immer weiß, um welche Uhrzeit man kommen und wieder gehen muss - vorausgesetzt man kann sich merken, ob drei Uhr nachmittags oder drei Uhr nachts gemeint ist.

Überhaupt gibt es heutzutage fast für alles und jeden einen eigenen Stammtisch. Ob Andersdenker, Freidenker, Querdenker, Fahrradlenker - es gibt nichts, das es nicht gibt. Und in Freising soll es demnächst sogar einen "gottlosen Stammtisch" für Ungläubige geben. Sollte sich das Modell etablieren und irgendwann auch in kleinere Dörfer exportiert werden, sitzen die dort eingesessenen Stammtische womöglich schon bald auf dem Trockenen. Deren Mitglieder treffen sich, so munkelt man, gerne mal nach dem sonntäglichen Gottesdienst zum Frühschoppen. Dumm nur, dass die Gottlosen, die nicht extra drauf warten müssen, dass der Pfarrer endlich mit seiner Predigt zu Rande kommt, dann schon längst im Wirtshaus sitzen. Da bleibt nur ungläubiges Staunen.

© SZ vom 16.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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