Mitten auf dem Volksfest:Den Anstand bewahrt

Lesezeit: 2 min

In Freising durften die Politiker erst nach dem Volksfest im Festzelt ihre Reden schwingen

Von Johann Kirchberger

Der Trend, sich in der Volksfestzeit mit Dirndl und Lederhose zu verkleiden, lässt sich wohl nicht mehr stoppen. Aber nicht nur das Outfit hat sich im Laufe der Jahre geändert, sondern auch einige Freuden. Wer heutzutage einen Überschlag vollführen will, muss nicht mehr per Muskelkraft eine Schiffschaukel in Bewegung setzen, sondern kann sich von einer Maschine in luftige Höhen katapultieren lassen. Im Bierzelt darf nicht mehr geraucht werden. Das ist bitter, hat aber den Vorteil, dass man von einem Ende des Zelts zum anderen schauen kann und hinterher nicht mehr stinkt wie ein Muli. Verschwunden sind die vollbusigen Schönheiten, die mit Schnaps durch die Tischreihen ziehen und natürlich die Zigarettenverkäufer, denen man zur Feier des Tages auch mal eine Zigarre abkaufen konnte.

Manches ist auch geblieben. Das Gejammer etwa - leider zu Recht - über schlecht eingeschenkte Maßkrüge, langsame Bedienungen und Musikkapellen, die entweder zu laut oder zu leise spielen. Geblieben ist auch, dass Bierzeichen während des Volksfests die härteste Währung dieser Welt sind, auch wenn sie inzwischen nicht mehr aus Blech, sondern aus Papier hergestellt werden. Wichtigstes Diskussionsthema an den Tischen ist nach wie vor, ob man von fünf Maß Weihenstephaner mehr Kopfweh bekommt, als von fünf Maß Hofbrauhaus-Bier. Freie Tische sind an manchen Tagen noch immer recht rar - und wer doch einen gefunden hat, verteidigt die freien Plätze hartnäckig gegen fremde Eindringlinge. Früher hieß es, die anderen sind gerade beim Karussellfahren, heute heißt es, die sind beim Rauchen.

Gegessen werden weiterhin überwiegend gut gesalzene Hendl, zu denen man seit einigen Jahren neben einer Semmel auch Besteck und Serviette bekommt. So etwas wie Schweinsbraten oder Wurstsalat gab es früher gar nicht. Mittlerweile aber gibt es zwar ein vielfältiges Speisenangebot, wobei eine Portion Sauerkraut besonders preisgünstig ist. Alternativen sind jedoch heute wie schon vor 50 Jahren Steckerlfisch, Emmentaler und große Brezn, die auf dem Vorplatz gekauft werden.

Gerauft wird nur noch relativ selten, seit eine Hundertschaft Security-Leute ständig ein Auge auf das feiernde Volk hat. Früher sind die Polizisten - schon um sich nicht selbst zu gefährden - erst dann ins Bierzelt gestürmt, wenn sich die Kontrahenten längst wieder ausgesöhnt hatten. Legale Faustkämpfe am Sonntagvormittag zwischen schwarzen Amerikanern und weißen Lokalmatadoren gibt es schon lange nicht mehr, dafür wird jetzt sonntags ein Ochs an den Spieß gehängt.

Geblieben ist der Brauch, dass der OB mit drei Schlägen ein Fass anzapft, obwohl das Bier für das Volk längst aus einem Container kommt, geblieben ist die Losbude des Roten Kreuzes und geblieben ist auch die Angewohnheit vor allem jüngerer Besucher, nach dem Bierzelt in die Weinhalle zu gehen. Wein freilich wird dort schon lange nicht mehr getrunken, dafür ein letztes Bier im Stehen. Vielleicht auch zwei oder drei.

Üblich war es früher auch, dass vor Wahlen am Montag nach dem Volksfest der Ministerpräsident oder ein anderer hochrangiger Unionspolitiker auftritt. Heuer nicht. Der Freiherr von Guttenberg wurde nach Moosburg verlegt, wo er nicht nach, sondern während der "Herbstschau" sprechen darf. So etwas hat es in Freising noch nie gegeben, da hat man sich trotz aller Veränderungen einen gewissen Anstand bewahrt.

© SZ vom 06.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: