Leidenschaftliche Wahlwerbung:"Der Geist Europas soll in eich fahr'n"

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Mike Moneymaker (Johannes Becher) hält sich für den heimlichen Vorsitzenden von Europa und glaubt, als Lobbyist alles und jeden kaufen zu können. (Foto: Marco Einfeldt)

Landkreisgrüne schlagen bei ihrer traditionellen Gründonnerstagung ungewohnt ernste Töne an

Von Johann Kirchberger, Freising

Wer sich als Belohnung nach politischen Reden und grüner Suppe lustiges Kabarett erhofft hatte, wurde enttäuscht. Die Gründonnerstagung der Grünen im Lindenkeller war diesmal nichts zum Lachen, es war eine Wahlveranstaltung. Nicht von und für die Grünen, es war eine Wahlveranstaltung für Europa, geprägt von einer bedrückenden Realität. Und am Ende sangen dann alle gemeinsam eine Hymne für ein neues Europa. "Einigkeit und Recht und Freiheit für die Menschen überall", hieß es da, "offene Grenzen, gemeinsames Handeln soll Europas Zukunft sein".

Johannes Becher und Toni Wollschläger haben das eindrucksvolle Singspiel geschrieben, mit dem die Kabarettgruppe der Grünen nun sogar auf Tournee gehen will, um für Europa und für die Wahlen am 26. Mai zu werben. In Schwabach, Gröbenzell und Mirskofen wollen sie auftreten. Becher spielte natürlich auch selbst eine wichtige Rolle in dem Stück, als Mike Moneymaker, der sich für den heimlichen Vorsitzenden von Europa hält und glaubt, alles und jeden kaufen zu können. Er ist Strippenzieher und Lobbyist, spielt den Kapitalisten, der zusammen mit seinem Yellowfriend (Björn Laczay) in und an Europa nur die Demokratie als störend empfindet. Gemeinsam sangen sie mit einer "chinesischen Leisegluppe" (Evi Altenbeck, Gaby Heindl, Angelika Ripperger, Joey Bayraktar) und begleitet von der Musik von Monika Betz und Ralf Grabuschnig: "Es zählt nur das Geld, what a wonderful world".

Das Haus Europa sei im Rohbau fertig, hieß es immer wieder. Am 26. Mai solle Richtfest gefeiert werden. Dem Zimmermann (Toni Wollschläger), der das Haus gemeinsam mit so vielen Menschen errichtet hat, wollte der "Dagobert Duck von Brüssel" aber nicht einmal den "Richtungsspruch" sagen lassen. Denn das Sagen habe der Kapitalist, nicht der Zimmermann, der das gesunde Fundament lobte, auf dem das Haus Europa trotz vieler Unzulänglichkeiten stehe.

Teilweise war dieses Singspiel eine bedrückende Bestandsaufnahme. Dazu bei trug der Auftritt der Nationalistin (Susanne Hehnen): "Wir sind überall und wir werden immer mehr." Weshalb der Baustellenreiniger (Franz Spitzenberger) auch Orbanbraun und Salviniocker als neue Farben in Europa ausmachte. Den Zuhörern im vollbesetzten Unterhaus des Lindenkellers rief er zu: "Der Geist Europas soll in eich eine fahr'n und aus eich glühende Europäer machen." Diesen Geist hatte zuvor eindrucksvoll die Gärtnerin (Carolin Hofer) beschworen und dazu aufgefordert, zusammen das neue Europa zu bauen. Ja, und ein wenig gelacht werden durfte dann auch noch. Über Günter Öttinger (Alexander Götz), seine englischdeutsche Rede und sein Trullala.

Zu Beginn hatte Raffael Luto mit Gitarre und Gesang die Gründonnerstagung eröffnet. Die neuen Kreisvorsitzenden Vera Juranowitsch und Alexander Götz begrüßten die Gäste, unter anderen Landrat Josef Hauner und OB Tobias Eschenbacher, die grüne Landesvorsitzende Sigi Hagl und den Aufgemuckt-Sprecher Christian Magerl. Erster Redner war MdL Johannes Becher, der die Grünen als Trendsetter sah - "wir setzen die Themen" - und "unsere Glaubwürdigkeit" als Grund für die guten Ergebnisse bei Wahlen und Umfragen nannte. Die Freien Wähler bezeichnete er hingegen als "willige Steigbügelhalter der CSU" und prophezeite ihnen ein böses Erwachen bei den Kommunalwahlen. Wenn Markus Söder sage, mit der CSU werde es keine Enteignungen geben, dann gelte das hoffentlich auch für die Grundstücksbesitzer im Erdinger Moos, sagte Becher. Er freue sich auch schon darauf, wenn eines Tages ein bayerischer Ministerpräsident eine Pressekonferenz gebe und erkläre, 1000 Hektar Flächenverbrauch seien zu viel, das europäische Vogelschutzgebiet müsse strikt beachtet werden, die Flugbewegungen ergeben keinen Bedarf und "wir waren eigentlich schon immer gegen eine dritte Startbahn". Der grüne Europakandidat Reinhard von Wittken forderte, dass Europa eine Führungsrolle beim Klimaschutz übernehmen müsse, wünschte sich ein gerechtes, soziales und starkes Europa und mahnte, am "Friedensprojekt Europa" nicht zu zündeln.

Auch die Bundestagsabgeordnete Margarete Bause nannte die Europawahl "unheimlich wichtig", weil da grundlegende Weichen gestellt würden. In den Mittelpunkt ihrer Rede stellte sie die Menschenrechte - "es darf nicht sein, dass im Mittelmeer Tausende ertrinken" - und forderte, aus der Europaunion eine Klimaunion zu machen. "Wir haben alle Instrumente, um das Klima zu retten", sagte sie, "wir müssen es nur endlich machen".

© SZ vom 20.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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