Lebenhilfe Freising:Schule ist bunt

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Farbe im Schulalltag: Seit 40 Jahren unterrichtet die Lebenshilfe in Freising Kinder mit Behinderung. Im Neubau an der Gartenstraße werden auch Schüler ohne Handicap aufgenommen. (Foto: Marco Einfeldt)

Im Bildungszentrum Gartenstraße lernen Kinder mit Handicap gemeinsam mit Nichtbehinderten. Der Einrichtung kam schon immer eine Vorreiterrolle zu

Von Lea Wahode, Freising

Bunte Glasplatten an silbernen Rohren wackeln im Wind und werfen farbige Schatten an die Fassade dahinter. Die Rohre bilden ein Tor und führen in die Aula des Bildungszentrums Gartenstraße (BiG). Nicht nur seine Fassade ist im Lichtspiel farbig. Lehrer, Eltern und Kinder mit und ohne Behinderung gehen dort ein und aus und zeigen: Unsere Gesellschaft ist bunt.

Seit 40 Jahren werden auf dem Gelände in der Gartenstraße Kinder mit geistiger Behinderung unterrichtet - erst in der Fröbelschule und seit 2012 im Bildungszentrum. Zuvor gab es keine Bildungsmöglichkeiten, sagt Hildegard Waldinger, Leiterin des Bereichs Kinder und Jugendliche der Lebenshilfe Freising. Bis 1968 wurden Kinder mit geistiger Behinderung deshalb notdürftig in der Pestalozzi-Hilfsschule untergebracht. "Damals war es undenkbar, dass Menschen mit Behinderung unterrichtet werden," erinnert sich Elisabeth Mayer. Mit ihrer Tochter Vicky sei sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen gewesen. "Durch die Gründung der Fröbelschule ist Bildungsfähigkeit neu definiert worden," sagt Schulleiter Björn Zaddach.

Der Unterricht sei zu Beginn sehr spontan und familiär gewesen, erinnert sich Cornelia Jäger-Lenz, langjährige Lehrerin an der Fröbelschule und im Bildungszentrum Gartenstraße. Erst später seien Sonderpädagogen gekommen und hätten die Abläufe strukturiert. 1983 habe es den ersten Lehrplan gegeben. Seitdem habe sich der Schwerpunkt von lebenspraktischen Fähigkeiten stark in Richtung Kulturtechnik verschoben, erklärt Waldinger. Das Bildungszentrum orientiere sich an den Regelschulen, damit Schnittstellen entstehen. So können Grundschüler mit Förderbedarf in der dritten Klasse auf eine Regelschule wechseln. "Früher sagte man: Einmal Lebenshilfe, immer Lebenshilfe," erzählt Waldinger. Durch den mobilen Sonderpädagogischen Dienst, der Kindern in Regelschulen Schulbegleiter stellt, oder die Berufsschule sehe das nun anders aus. So kocht Hatice Savran, Berufsschülerin im BiG, beim wöchentlichen Praxistag im "Café Einzigartig" für ihre Mitschüler und lernt so den Arbeitsalltag kennen. Nach ihrem Abschluss hofft sie, am ersten Arbeitsmarkt in einer Kantine angestellt zu werden.

Um größtmögliche Selbstständigkeit zu erreichen, liege jedoch weiterhin ein Fokus auf lebenspraktischen Fähigkeiten, betont Waldinger. Der ehemalige Schüler Armin Nefzger erinnert sich gern an seine Zeit in der Fröbelschule. Mittlerweile arbeitet er in den Isar-Sempt-Werkstätten nebenan. "Ich habe in diesem Haus schwimmen gelernt! Wir hatten Kochen und Handarbeit, da haben wir einen Teppich gemacht. Es gab ein Fußballspiel Schüler gegen Lehrer - da haben wir verloren", erzählt er. "Wir hatten auch unsere Kommunion in der Schule", fällt ihm dann noch ein. Diese findet jetzt in der Kirche statt, mit allen anderen Kindern. An diesem Beispiel sieht man: Die gesellschaftliche Akzeptanz von Menschen mit Behinderung hat sich stark gewandelt. Vor 20 Jahren begannen die ersten Annäherungsversuche, eine Gruppe der Fröbelschule besuchte wöchentlich die Grundschule in Pulling. Inzwischen lernen im BiG Kinder mit und ohne Behinderung in der Krippe, dem Kindergarten und dem Hort sowie der Schule mit Prädikat Inklusion gemeinsam. Immer mehr Eltern schickten ihre Kinder ohne Behinderung in die Integrationsklassen, erzählt Lehrerin Cornelia Jäger-Lenz. Die Betreuung dort sei für alle Schüler individueller. Wie der Inklusionsgedanke im Alltag umgesetzt wird, erklärt Waldinger: Die interne Regelklasse arbeite parallel zu den Schülern mit Förderbedarf, so oft wie möglich würden alle gemeinsam unterrichtet. Dabei lerne jeder auf seinem Niveau am gleichen Gegenstand. "Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, auf wie viele verschiedene Weisen man sich einem Thema annähern kann", oft mit unterschiedlichen Materialien. Materialgestütztes Arbeiten kennt Nefzger auch aus der Fröbelschule. "Ich habe das M mit Pudding gelernt, den hat der Lehrer mit uns gekocht," erinnert er sich und weiß noch den Merkspruch: "Riecht gut, schmeckt gut - Mh." Heutzutage habe man dafür leider nicht mehr genügend Zeit. Der Unterricht basiere jedoch auf Wochenplanarbeit statt Frontalunterricht, erklärt Jäger-Lenz. Die Arbeitsweise ähnle der Montessori-Pädagogik.

Auch zwischen den Schülern mit Förderbedarf werde auf Inklusion geachtet, erklärt sie. Früher habe man Kinder mit schwerer Behinderung in einer separaten Klasse unterrichtet. Nun lernen sie mit zusätzlicher Einzelbetreuung gemeinsam mit den anderen. Berufsschülerin Savran berichtet von ihren Erfahrungen damit: "Früher hatte ich voll Angst vor Behinderten, aber jetzt sehe ich, die brauchen echt Hilfe." Zwischen den Stunden hilft sie einem Mitschüler mit Mehrfachbehinderung. Dass Angst und Hilflosigkeit verschwinden, wenn man sich kennenlernt, weiß Waldinger auch aus den Inklusionsklassen und dem Kindergarten. Für die Kinder sei es selbstverständlich, dass jeder anders ist. Freundschaften entwickelten sich allerdings nur bedingt, weiß Elisabeth Mayer aus eigener Erfahrung: "Irgendwann geht die Schere auseinander." Manchmal seien Eltern von Kindern mit Behinderung enttäuscht, dass keine intensivere Bindung entsteht. Auch Waldinger bestätigt: "In der Pubertät sucht Gleiches Gleiches". Das Gefühl für Menschen bleibe aber langfristig verändert.

© SZ vom 19.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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