Krisentelefon:"Du entblößt dich nicht so"

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Kristina Kluge-Raschke im Gespräch mit den zwei Frauen, die in einer persönlichen Krise Hilfe gesucht haben. (Foto: Marco Einfeldt)

Schnelle Hilfe durch das Krisentelefon: Das hätten sich Katrin Meck und Marie Ehler schon früher gewünscht

Interview von Clara Lipkowski, Freising

Persönliche Krisen begleiten Katrin Meck und Marie Ehler (Name geändert) schon das ganze Leben. Seit ihrer Jugend sind sie psychisch krank. Inzwischen erhält Meck, 51, eine vorzeitige Rente und hat einen Mini-Job als Hausmeisterin. Sie hat sich zu einer Genesungsbegleiterin ausbilden lassen und wird künftig bei Beratungsgesprächen anderen psychisch Kranken zur Seite stehen. Sie lebt allein - allerdings mit ihren beiden Katzen. Ehler, 56, lebt mit ihrem Mann und den beiden Söhnen zusammen. Sie ist Autorin und arbeitet bereits als Begleiterin. Beide sind sich einig: Eine telefonische Anlaufstelle hätten sie sich schon früher gewünscht.

SZ: Frau Ehler, Frau Meck, was waren Ihre persönlichen Lebenskrisen? Wann haben Sie gemerkt, dass Sie Hilfe brauchen?

Marie Ehler: Ich möchte es mal ein wenig witzig formulieren: Hauptberuflich bin ich Psychotikerin und nebenberuflich manisch depressiv ( lacht) . Bei mir begann das schon mit 14, 15. Ich bin durch meinen Vater vorbelastet, der chronisch depressiv ist. Dass ich Hilfe brauche, habe ich bald gemerkt und eine Therapie begonnen. Mit 17 kam die erste psychotische Krise. Hinzu kam eine Abtreibung, die über meinen Kopf hinweg entschieden wurde. Das war das Schlimmste, das ich erlebt habe. Anfang 20 war ich sechsmal in einer Klinik .

Katrin Meck: Meine Depression hat sich schleichend entwickelt. Es gab viele Ereignisse, da war die Trennung meiner Eltern, außerdem gab es Probleme auf der Arbeit. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich so einen Druck in mir habe, dass ich Hilfe holen wollte, aber nicht gewusst habe, wo. Glücklicherweise gab es direkt im Haus nebenan eine Psychiaterin, die mich aufgenommen hat. Später hatte ich innerhalb von fünf Wochen eine Reihe krasser Negativerlebnisse, Kündigung der Arbeit, Kündigung der Wohnung, Todesfall. Das hat mir die Kraft genommen. Nach einem weiteren Arbeitsplatzverlust hatte ich einen richtigen Zusammenbruch, dann kam die Klinik.

Wie hat die Krankheit Ihren Alltag beeinflusst?

Meck: Massiv. Ich war früher bis zu 24 Stunden am Tag aktiv und habe kaum geschlafen. Dadurch war mein Rhythmus total durcheinander. Ich musste erst lernen, dass die Nacht da ist, um mich zu erholen. Und ich musste über Jahre meine Erkrankung akzeptieren lernen.

Ehler: Ich habe studiert und durch die Krankheit einige Jahre mehr gebraucht. Das erste Staatsexamen für Lehramt habe ich gut geschafft, als ich dann mit 50 versucht habe, das zweite Staatsexamen nachzuholen, bin ich aber zusammengekracht.

Als Sie sich Hilfe holen wollten, hätte ein Krisentelefon geholfen?

Meck: Ja, sehr. Ich habe lange in Telefonbüchern geblättert, wusste aber nicht wohin ich sollte. Zum Telefonhörer zu greifen, ist auf jeden Fall leichter. Das Vis-à-vis fällt erst einmal weg. Du entblößt dich nicht so.

Ehler: Ich bin ziemlich rumgeirrt. Manchmal bin ich auf der Suche nach Hilfe zu Bekannten geflüchtet. Ich kann mich innerhalb von ein paar Stunden so hochschaukeln, dass ein Anruf das Einfachste wäre, das zu stoppen. Mit so einem Krisendienst wäre Deeskalation gleich von vorneherein möglich gewesen, das hätte sehr geholfen.

Wie wichtig ist wohnortnahe Hilfe?

Ehler: Je nachdem in welcher Verfassung man ist, kann der Weg zu einer Einrichtung, etwa in München, ewig lang sein. Da ist es enorm wichtig, dass man schnell Hilfe bekommen kann. Wenn man das weiß, nimmt man es auch eher in Anspruch.

Was für Tipps geben Sie Menschen, die eine Krise erleben?

Meck: Erst einmal muss man sich bewusst werden, dass man in einer Krise ist. Und dann Hilfe holen. Der kurze Weg des Krisentelefons ist sehr gut. Denn der Krisendienst kann vorarbeiten und feststellen, welche Hilfe genau gebraucht wird.

Ehler: Oft spielt falscher Stolz eine Rolle. Aber Hilfesuchen ist ein Zeichen der Stärke. Wenn man sich das klar macht, fällt es leichter, diesen Schritt zu machen.

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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