Kriegsende:Spurensuche im Steinpark

Lesezeit: 3 min

Wer weiß, wo er hinschauen muss, findet auf dem alten Kasernengelände Zeugnisse der NS-Zeit

Von Petra Schnirch, Freising

Freising ist eine traditionsbewusste Stadt, die zu Recht stolz ist auf ihre Baudenkmäler. An ein besonders unrühmliches Kapitel der jüngeren Geschichte aber erinnern kaum noch Relikte aus Stein. Geschichten können jedoch auch Zerstörungsspuren erzählen, zum Beispiel an der Mauer des alten Stabsgebäudes der General-von-Stein-Kaserne. Stadtarchivar Florian Notter nahm am Mittwoch etwa 40 Freisinger mit auf eine Spurensuche, denn vor 70 Jahren, am 29. April 1945, erreichte die US-Armee die Stadt und beendete die NS-Herrschaft.

In der Wiese an der Mainburger Straße vor der alten Kasernenmauer sieht der Unkundige zunächst einmal: nichts. Eben dort, an einer Stele, die heutzutage etwas schamhaft durch grünes Buschwerk verdeckt ist, hatten die Nationalsozialisten ihre Insignien hinterlassen: ein großes Hakenkreuz und einen imposanten Adler. Nach Kriegsende befand Stadtkommandant Captain Albert Snow, dass dies nun endlich weg müsse. Das Hakenkreuz wurde abgeschlagen, der Adler verschwand. Erst seit kurzem weiß Notter, was mit ihm geschehen ist: Die Amerikaner warfen ihn in eine Grube im Wieswald. Zwei Buben hatten das damals beobachtet.

Das ehemalige Stabsgebäude der Steinkaserne zeigt den Architekturstil der NS-Zeit. Entstanden ist das Bauwerk 1936, wie Florian Notter erklärte. (Foto: Marco Einfeldt)

Einer von ihnen, inzwischen naturgemäß ein älterer Herr, zeigte dem Stadtarchivar, wo das geschah. "Dort ist er ganz gut aufgehoben", findet Notter. Die Erinnerung würde er aber gern wach halten. Er befürwortet, vor der Stele eine kleine Tafel anzubringen, die über das zerstörte NS-Denkmal informiert. Auch wie man mit den Resten der Kasernenmauer umgeht, müsse gut überlegt werden. Dass das alte Stabsgebäude, neben der Mauer einziges Überbleibsel der Kaserne, nicht unter Denkmalschutz steht, kann Notter nicht so recht verstehen. Das Freisinger Gebäude ist nach Auffassung der Denkmalschützer nicht schützenswert, in anderen Städten sei das anders. Denkmäler müssten nicht immer schön sein, es gebe auch unbequeme Zeugnisse der Vergangenheit.

Im Stabsgebäude spiegelt sich, wie Notter erklärte, der Architekturstil der NS-Zeit. Auf dem damals unbebauten Gelände entstand 1936 das Bauwerk, das genau der Heeresbaunorm entsprach. Einziges Detail, das der Lage in Bayern geschuldet ist: der schindelgedeckte Dachreiter. Er passe nicht nach Freising, sagte Notter, aber dies zeige eben, "wie Oberbayern von Berlin aus gesehen wurde".

Als die US-Armee von Norden her einzog, war die Kaserne längst verwaist. Die Freisinger erlebten damals "chaotische, unruhige Zeiten". Seit Monaten kamen immer mehr Flüchtlinge an, im November 1944 etwa traf ein Rotkreuzzug aus Villany am Bahnhof ein. In den letzten Kriegstagen führten auch durch Freising Todesmärsche - damals "Elendszüge" genannt. Ihr Ziel war das KZ Dachau. Einige der entkräfteten KZ-Häftlinge schafften es nicht weiter. Der Vöttinger Pfarrer Hörmann notierte auf einem Aktendeckel, dass "drei arme Menschen" umgekommen seien. Wie brutal mit den Gefangenen umgegangen wurde, erlebten auch die Tüntenhausener. "Sie haben viel gesehen" und als eine der Ersten gedachten sie dieser Leute mit einem Gedenkstein, wie Notter erzählte.

Florian Notter weiß um die Freisinger Geschichte. (Foto: Marco Einfeldt)

Nur elf Tage vor der Befreiung mussten auch die Freisinger erfahren, dass ihr Gefühl der Sicherheit trügerisch war. Sie "sind in der Regel nicht in den Keller gegangen", weiß Notter aus vielen Gesprächen mit Zeitzeugen - die meisten ignorierten die zunehmenden Fliegeralarme.

In der Stadt gab es mehrere Lazarette, etwa in der Knabenschule Sankt Georg, im Pallottinerkloster, im Knabenseminar sowie im Priesterseminar. Da dort auch verwundete US-Soldaten versorgt wurden, glaubte die Bevölkerung, dass Freising nicht angegriffen würde. Ein Trugschluss. Am 18. April 1945 bombardierte die US-Armee das Bahnhofsviertel. Ihr eigentliches Ziel war Traunstein, dort aber war das Wetter zu schlecht. Etwa 200 Menschen starben. Eine Frau erzählte Notter, ihre Mutter habe sie trotz des Fliegeralarms zur Hauptpost geschickt, um noch schnell einen Brief aufzugeben. Wäre sie vier Minuten später dort gewesen, hätte sie den Angriff nicht überlebt. Dieses Beispiel zeigt, wie sicher sich die Freisinger fühlten.

Auch ein wichtiges historisches Dokument erhielt der Stadtarchivar vor kurzem. Der Sohn des damaligen Chefs des Elektrizitätswerks übergab ihm ein Schreiben, in dem die Sprengung der Korbiniansbrücke am 29. April 1945 in Aussicht gestellt wird. SS-Männer jagten dann am späten Nachmittag zwei Bögen in die Luft, als sie aus der Stadt flohen. Das Dokument ist laut Notter das einzige schriftliche Zeugnis der Sprengung.

Viel alte Bausubstanz gibt es im Steinpark, dem ehemaligen Kasernengelände, nicht mehr. Mit den Straßennamen in dem Neubauviertel hält die Stadt aber die Erinnerung an die Ereignisse 1945 und davor lebendig. Zwei der Namensgeberinnen sind Magdalena Weinmiller und Imma Mack. Weinmiller nahm Verfolgte in ihrem Haus auf und versorgte KZ-Häftlinge, die durch die Stadt getrieben wurden, mit Lebensmitteln. Ebenso mutig schmuggelte Novizin Imma Mack Essen und Briefe ins KZ Dachau. Zwei weitere Straßen sind nach Carl Dettenhofer und Stadtpfarrer Albert Brey benannt. Dettenhofer versuchte zunächst, die SS zum Abzug zu bewegen und fuhr schließlich den Amerikanern mit Brey und Bürgermeister Hans Lechner entgegen, um diesen zu signalisieren, dass sie nicht angegriffen würden. Geehrt werden auch Emil Berg und Trevor Moore. Dieser war erster Stadtkommandant, er blieb allerdings nur zwölf Tage. Emil Berg war als erster Bürgermeister der Nachkriegszeit mit der großen Not der Menschen konfrontiert, hat die schwierige Aufgabe aber gut gemeistert, wie Notter schilderte. Auch in einem Neubaugebiet kann sich eine Spurensuche also lohnen.

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: