Kommentar:Wechsel in den Wahlkampfmodus

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Warum Konsenspolitik nicht mehr gefragt ist, wenn es um Wählerstimmen geht

Von Kerstin Vogel

Kommunalwahlkampf in der Stadt Freising ist eine schwierige Aufgabe. Sechs Jahre lang betreibt der Stadtrat eine Konsenspolitik, bei der man redet und sich einigt, anstatt zu streiten. Kaum eine Entscheidung, die am Ende nicht einstimmig ausgefallen ist - wie soll man sich da abgrenzen, wenn es im März 2020 darum geht, die Sitze im Stadtrat neu zu verteilen? Wenn alle alles immer gemeinsam entscheiden, ist am Ende schwer zu unterscheiden, wer eigentlich für was steht.

Möglicherweise müssen die unerwartet heftigen Diskussionen, die am Mittwoch im Stadtrat - mal wieder - um das Projekt Westtangente geführt worden sind, tatsächlich vor diesem Hintergrund gesehen werden: dass nämlich Wahlkampf ist. Über einzelne Anträge, die man in die Haushaltsberatungen einbringt und dann durchsetzt oder nicht, ist eine Profilierung schon länger nicht mehr möglich. Offensichtlich hat die Stadt aktuell so viel Geld, dass einfach alle Wünsche erfüllt werden. Sogar die Kosten für den von der SPD gewünschten Mietspiegel finden sich in dem Zahlenwerk - obwohl es für dessen Einführung noch nicht einmal einen Beschluss gibt.

Bleibt als Objekt einer Abgrenzung am Ende vielleicht wirklich nur die Westtangente, dieser ewige, immer noch teurer werdende Zankapfel. Tatsächlich ist absolut nachvollziehbar, warum die Gegner das Jahrzehnte lang umstrittenen Projekts die jüngste Kostensteigerung um mehr als 25 Millionen Euro nicht mehr mittragen wollten und deshalb dagegen gestimmt haben. Dabei dürfte wohl auch in ihren Reihen niemand ernsthaft eine Einstellung der Bauarbeiten fordern. Aber ja, man darf und soll sich abgrenzen. Und ja, die Stadträte müssen der Verwaltung auf die Finger schauen, müssen Kosten im Blick behalten - nur weil ein ungeliebtes Projekt begonnen worden ist, muss man es nicht gut heißen.

Ob es allerdings wirklich geboten ist, aus Protest gegen eine einzige Maßnahme den gesamten Haushalt abzulehnen, darüber darf mindestens diskutiert werden. Natürlich ist das ein Zeichen und natürlich wird man auf diese Weise wahrgenommen mit seiner Unzufriedenheit mit diesem Projekt. Auf der anderen Seite ist die Argumentation von Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher nicht von der Hand zu weisen, der sagt, die Tangentengegner im Stadtrat könnten nur deswegen so abstimmen und ihr Zeichen setzen, weil sie wissen, dass die Mehrheit dem Haushalt natürlich zustimmen wird.

Täte sie das nicht und würde einfach jeder, der mit einem oder vielleicht sogar mehreren Projekten eines Haushalts nicht einverstanden ist, deswegen das komplette Paket ablehnen, wäre die Stadt binnen Kürze handlungsunfähig. Für die Westtangente würde das nicht nur eine Einstellung der Bauarbeiten bedeuten, es könnten auch Rechnungen nicht mehr bezahlt werden und die staatlichen Geldgeber würden wohl relativ schnell ihre bereits gezahlten Zuschüsse zurückfordern.

Das aber dürfte am Ende für die Stadt teurer werden als ihr Anteil an der Westtangente - und mit der von Grünen-Stadtrat Jürgen Maguhn scherzhaft angeregten Umwandlung in eine Fahrradstraße lässt sich vermutlich auch kein Wahlkampf gewinnen.

© SZ vom 06.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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