Kirchbergers Woche:Mit Joe Kaeser nach Istanbul

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Alles muss wachsen, meint der Siemens-Chef, auch der Flughafen - ohne Rücksicht auf die Bevölkerung

Von Johann Kirchberger

Die Wirtschaft muss blühen, gedeihen und immerzu wachsen. Das weiß man, weil sonst die Verelendung droht. Deshalb muss auch der Flughafen wachsen, fordert die Wirtschaft, eine weitere Startbahn muss her, ob es die braucht oder nicht. Siemens-Chef Joe Kaeser hat jüngst sogar gedroht, sein Konzern werde München verlassen, sollte nicht ganz schnell eine dritte Startbahn kommen. Vielleicht zieht es ihn ja nach Istanbul, da wird ein Flughafen mit sechs Startbahnen gebaut. Alles muss wachsen, wünscht sich die Wirtschaft, vor allem die Gehälter der Manager.

Rücksicht auf die Bedürfnisse der Bevölkerung oder die Kosten für die Allgemeinheit kann dabei nur bedingt genommen werden. Die Wirtschaft bestimmt, wo's lang geht. Da werden riesige Containerschiffe gebaut, weil man mit denen noch größere Gewinne machen kann. Wenn die Kolosse dann nicht in den Hamburger Hafen fahren können, müssen die Hamburger eben die Elbe vertiefen. Für 600 Millionen Euro. Oder man baut 25 Meter lange Lastwagen, genannt Gigaliner, und schickt sie mit wohlwollender Unterstützung von Verkehrsminister Dobrindt auf dafür nicht geeignete Straßen. Die Transportunternehmer wollen so Kosten sparen, die Kosten für Umbau und Erhalt der Straßen sollen Bund, Länder und Kommunen übernehmen.

Auch in Eching wurde jüngst lange diskutiert, ob bei der Sanierung einer viel befahrenen Kreuzung im Gewerbegebiet die Ampelanlage nicht durch einen Kreisverkehr ersetzt werden sollte, der tauglich für Gigaliner wäre. Mehrkosten mindestens eine halbe Million Euro. Zum Glück war das der Mehrheit im Gemeinderat zu viel, der Vorschlag des Bürgermeisters wurde abgelehnt. Ob Freisings Westtangente, die Nordostumfahrung und andere Straßenbauprojekte im Landkreis Gigaliner-tauglich sind, wird vermutlich gerade geprüft. Notfalls wird schnell umgeplant und die Kosten der Allgemeinheit aufgebürdet. Wem sonst.

In die enge Freisinger Innenstadt kommen die Gigaliner wohl nie hinein. Auch wenn in ein paar Jahren alle Gehwege und unordentlich herumstehenden Werbetafeln beseitigt sind. Natürlich muss genau geregelt werden, was da künftig noch herumstehen darf, und wie das auszusehen hat. Tische, Stühle, Sonnenschirme, Pflanztröge und Werbetafeln sollen ein einheitliches Bild abgeben, so haben es die Stadträte beschlossen. Und nachts muss alles weggeräumt werden, wenn die Gehsteige hochgeklappt . . . Aber die gibt es dann ja gar nicht mehr. Einheitsbrei statt Vielfalt, Ordnung statt individueller Gestaltung. Angebote nur auf mit Kreide beschriebenen schwarzen Tafeln. Weg mit Podesten, Zäunen, Bänken. Fahrräder haben in Reih und Glied in Ständern zu stehen. Unordnung wird als störend empfunden. Was lernen wir daraus? In Freising muss nicht immer alles größer werden. In Freising muss alles gleich werden, weil angeblich nur so die Attraktivität der Innenstadt gesteigert werden kann. Wer das anders sieht, der kann ja wegziehen. Mit Joe Kaeser nach Istanbul.

© SZ vom 04.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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