Kirchbergers Woche:Heimat der Betonmischer

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Wer alte Postkarten betrachtet, der sieht, wie sich Freising verändert hat

Kolumne von Johann Kirchberger

Sieht man sich alte Postkarten von Freising an, erschrickt man regelrecht. Du gute alte Bischofsstadt, wie hast du Dich verändert. Im Norden dehnte sich die Stadt vor 100 Jahren nur unwesentlich über die Kammergasse hinaus aus, Vimy-Kaserne und Pallottihaus standen auf der grünen Wiese, zwischen Weihenstephan und der Altstadt gab es ein kleines Wäldchen, die Hochschule bestand aus nur wenigen Gebäuden auf dem Berg, rundherum gab es Versuchsflächen. Noch in den 70er-Jahren wurde behauptet, ohne diese Flächen seien Lehre und Forschung an der grünen Universität nicht möglich. Das gilt schon lange nicht mehr. Wo Leerflächen waren, stehen heute moderne Lehrgebäude. Lerchenfeld bestand vor 100 Jahren nur aus wenigen Gebäuden. Heute ist das Freisings größter Stadtteil, eingepfercht zwischen Autobahn und Staatsstraßen. 12 000 Menschen leben hier.

Freising ist in den vergangenen 100 Jahren enorm gewachsen, Wohnhäuser wurden errichtet, Gewerbebetriebe angesiedelt und alle freien Flächen rund um die Stadt zugebaut. Früher gab es auch noch eine ganze Reihe von Gärtnereien im Stadtgebiet. Alle längst verschwunden, dort wo einst Gemüse gezogen wurde, stehen nun Häuser. Bebaubare Grundstücke sind so rar geworden, dass die Preise dafür in astronomische Höhen geschnellt sind. Es ist schlichtweg nichts mehr da, was man noch betonieren könnte. Geblieben ist der Siedlungsdruck. Freising will weiter wachsen, ist aber längst an seine Grenzen gestoßen: Im Norden ist es der Bannwald, im Süden verhindert der mögliche Bau einer dritten Startbahn die Ausweisung neuer Wohngebiete.

Deshalb macht jetzt das Schlagwort von der Nachverdichtung die Runde. Die sieht in Freising so aus, dass kleine Einfamilienhäuser durch Drei- und Vierspänner ersetzt werden. Auf diese Weise verschwinden immer mehr Grünflächen. In die Höhe wird nicht oder nur sehr selten gebaut. Zwei, höchstens mal drei Stockwerke sind in Freising die Regel. Das ist beileibe nicht der Wunsch der Bauträger, das wollen die Stadtplaner so. Deshalb werden die letzten Freiflächen geopfert, um die so dringend benötigten Wohnungen zu bauen. Und dazu kommen neue Straßen, viele Straßen, weil man glaubt, dadurch das Verkehrschaos mildern zu können. Doch neue Straßen ziehen noch mehr Verkehr an.

Das alles sind beileibe nicht nur Probleme einer Stadt wie Freising. Überall in Bayern drehen sich die Betonmischer. 13 Hektar werden im Freistaat zubetoniert - täglich. Das entspricht der Größe von 18 Fußballfeldern. Wenn es in diesem rasanten Stil weitergeht, wenn jede kleine Gemeinde glaubt, ein eigenes großes Gewerbegebiet haben zu müssen, dann ist absehbar, dass irgendwann Schluss sein wird mit Landschaft und Natur in unserem schönen Bayernland. Doch wer soll den Flächenfraß stoppen? Die Staatsregierung nicht, die setzt auf Wachstum, will eine dritte Startbahn im Erdinger Moos bauen - und allein dafür eine Fläche versiegeln, die so groß ist wie ein Drittel des Tegernsees. Das Volksbegehren "Betonflut eindämmen - damit Bayern Heimat bleibt" haben zwar 50 000 Menschen unterschrieben, es wurde aber jüngst vom Verfassungsgerichtshof für unzulässig erklärt, weil die kommunale Planungshoheit nicht eingeschränkt werden dürfe. Also wird weiter gebaut und betoniert. Wiesen, Felder und Wälder verschwinden. In Freising und anderswo.

© SZ vom 04.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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