Kirchbergers Woche:Die Urkunde ist schon mal da

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Warum ein Qualitätssiegel noch lange nichts bewirken muss

Von Johann Kirchberger

Nur allzu bereitwillig springen Landkreise, Städte und Gemeinden auf Imagekampagnen auf, vor allem auf die der Staatsregierung. So will der Landkreis Freising bekanntlich "Gesundheitsregion plus" werden und bewirbt sich auch um das "Qualitätssiegel Bildungsregion Bayern". Die Stadt Freising wiederum ist jetzt ganz offiziell Mitglied der "Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen" geworden. Die Mitgliedsurkunde wurde den Vertretern der Stadt in festlichem Rahmen im Schloss Nymphenburg von Innenminister Herrmann persönlich überreicht. Toll, wenn schon die Aufnahme in einen Verein so gefeiert wird. Nur, wie schaut es in der Praxis mit der Fahrradfreundlichkeit in Freising aus?

Da werden etwa in den "Guten Ängern" in Lerchenfeld zwei Schulen gebaut, aber entlang der Straßen kein Radweg. Da gibt es am Südring Fuß- und Radwege, die an der Abbiegung zu McDonald's und Co abrupt enden. Danach müssen die Radler auf der Straße fahren, auch entlang der Schlüterbrücke gibt es keinen Radweg. Wer trotzdem das Wagnis eingeht und sich bis zur ehemaligen B 11 auf zwei Rädern vorwärts kämpft, der muss über eine viel befahrene Kreuzung und danach über einen Grünstreifen hoppeln, um auf den gegenüberliegenden Radweg zum Pullinger Weiher zu kommen. Dieser Radweg beginnt übrigens nicht in der Stadt, sondern irgendwie zufällig an den Schlüterhallen. An der Kreuzung selbst sind Radfahrer offensichtlich nicht vorgesehen, auch nicht entlang der Westtangente, die natürlich ohne Radweg gebaut wird - wird ja auch ein Flughafenzubringer. Für radelnde Studenten auf dem Weg von Lerchenfeld nach Weihenstephan bleibt nur der Weg durch die Innenstadt. Ist das fahrradfreundlich?

Um nach vier Jahren intensiver Prüfung den Titel "Fahrradfreundliche Kommune in Bayern" zu bekommen, werden die Freisinger wohl noch gehörig nachbessern müssen. Den Titel "Fairtrade Town" haben sie aber schon und den will aus Imagegründen nun auch die Stadt Moosburg. Deshalb wird im Rathaus jetzt nur noch fair gehandelter Kaffee getrunken. Hoffentlich aus Tassen und nicht aus Pappbechern. Außerdem müssen ein Kindergarten, eine Schule, ein Verein und eine Kirche, vier Geschäfte und zwei Gastronomiebetrieb irgendwie dazu gebracht werden, faire Produkte zu verwenden und - ganz wichtig und wohl entscheidend - in den lokalen Medien muss mindestens viermal im Jahr über die Fairtrade-Aktivitäten der Stadt berichtet werden. Der Anfang ist mit diesen Zeilen wohl gemacht, der Titel ist damit fast schon eingesackt.

Ob so ein Schluck fair gehandelter Kaffee den Menschen in der Dritten Welt viel bringt, ist eine andere Sache. Aber es beruhigt natürlich das schlechte Gewissen, das den ein oder anderen Fairplayer beschleichen mag, wenn er sich wieder einmal in ein Flugzeug setzt, einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Klimaveränderung leistet und damit bewusst oder unbewusst dafür sorgt, dass es die Inseln, auf denen er Urlaub macht, wegen des steigenden Meeresspiegels schon bald nicht mehr geben wird. Aber alles halb so schlimm, solange man mit den Klimaflüchtlingen, die wohl schon in absehbarer Zeit bei uns eintreffen, eine Tasse fair gehandelten Kaffee trinken kann.

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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