Kirchbergers Woche:Der Aufschrei bleibt aus

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Logistikfirmen will eigentlich niemand, die Packerl aber schon

Kolumne von Johann Kirchberger

Chaos ist machbar, Herr Nachbar. Chaos auf unseren Straßen, ausgelöst durch die unzähligen Packerlfahrer, die sich schneller vermehren als Handy-Läden in der Innenstadt. Aber die armen Kerle, die mit ihren gelben, schwarzen oder weißen Lieferfahrzeugen die Straßen verstopfen, Radwege blockieren oder manchmal sogar Staus auslösen, können ja nichts dafür. Es ist hier in Freising und auch anderswo der bequeme Konsument, der mit Laptop und Lederhose alles Mögliche im Internet bestellt und sich Pakete zuschicken lässt. Wer nicht täglich ein Packerl bekommt, ist fast schon ein Dinosaurier, ein Rückständiger, ein Ewiggestriger. Wenn künftig auch noch verstärkt Lebensmittel an die Haustüre geliefert werden, wovon auszugehen ist, dann schicken wir uns quasi freiwillig selbst in Quarantäne und merken es nicht einmal. Einkaufen ohne Maske und rund um die Uhr, das ist der Trend der Zeit, dem kaum jemand widerstehen kann.

So gesehen könnte wegen der eingeschränkten Kontakte von Mensch zu Mensch das böse Coronavirus schnell besiegt werden, wäre da nicht dieser unwiderstehliche Drang, ständig irgendwo irgendetwas feiern zu müssen, ohne Abstand, ohne Mund- und Nasenschutz, aber mit viel Alkohol. Hinzu kommt das nicht zu bremsende Verlangen, möglichst oft zu verreisen, auch und gerne in Risikogebiete. Das freut das Virus.

Ja, Corona will keiner, aber es ist trotzdem da. Auch Logistiker im Freisinger Gewerbegebiet wollte und will eigentlich keiner. Aber sie kommen. Was war das für ein Geschrei vor vier Jahren, als der Lebensmittelverteiler Transgourmet in den Clemensängern eine zugegeben recht große Halle bauen wollte. Eine Bürgerinitiative wurde gegründet, ein Bürgerentscheid ausgeführt und die Angst vor verstopften Straßen durch an- und abfahrende Lastwagen geschürt. Chaotische Zustände wurden an die Wand gemalt. Solche Logistiker könne Freising nicht gebrauchen, hieß es, auch nicht in einem Gewerbegebiet nahe der Autobahn.

Transgourmet zog die Konsequenzen und ließ sich anderswo nieder. Kurz danach baute die Staatsbrauerei Weihenstephan ihr neues Logistikzentrum in den Clemensängern, das war kein Problem, ist ja eine Freisinger Firma. Noch heuer soll dort, wo einst Transgourmet bauen wollte, auf 37 000 Quadratmetern in vier großen Hallen ein Prüfzentrum für die Messung von Fahrzeug-Emissionen eröffnen, das Bertrandt Powertrain Solution Center. Ist zwar kein Logistiker, aber doch recht groß. Niemand regt sich darüber auf, der OB ist glücklich Bertrandt nach Freising gelotst zu haben. Zusätzlich ist auch noch ein Hotel mit 240 Betten in Planung, auch kein Problem.

Jüngst wurde bekannt, dass DHL, das sind die früheren Postler in den gelben Fahrzeugen, in den Clemensängern einen Verbund-Zustellstützpunkt errichten und dafür eine große Logistikhalle errichten will, 73 Meter lang und fast acht Meter hoch, mit einer Carportanlage für 20 Streetscooter, 17 Stellplätzen für Kleintransporter und 22 für Autos. Im Planungsausschuss wurde zwar ein bisserl gemurrt - "Logistiker wollten wir doch eigentlich nicht" - aber dem Vorbescheidsantrag wurde letztlich doch zugestimmt. DHL kann damit noch mehr Paketfahrer auf Freisings Straßen schicken, auch an Sonn- und Feiertagen. Wo bleibt da der Aufschrei? Er bleibt aus, weil alle sich schon darauf freuen, ihre Packerl künftig noch schneller geliefert zu bekommen.

© SZ vom 17.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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