Kinder und Jugendliche:Es gibt unendlich viel zu tun

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Beim "Walk and Talk" des Bildungszentrums geht es um Bildungsgerechtigkeit und die notwendige, individuelle Förderung

Von Katharina Aurich, Freising

Es gibt noch keine Bildungsgerechtigkeit, aber viele Ansätze, wie Kinder und Jugendliche unabhängig von ihrer Herkunft dieselben Chancen bekommen könnten. Darin waren sich die Teilnehmer der Veranstaltung "Walk und Talk" der Stiftung Bildungszentrum im Kardinal Döpfner-Haus einig, die sich am Freitagabend drei Stunden in der Freisinger Innenstadt zu Fuß auf Spurensuche zu diesem Thema gemacht hatten. Bildungsgerechtigkeit werde es nur dann geben, wenn sich die ganze Gesellschaft dafür verantwortlich fühle, so das Fazit des Abends.

Beim Start auf dem Domberg erfuhren die 15 fast ausschließlich weiblichen Teilnehmer von der Mittelschullehrerin Heidemarie Brosche, wie vielfältig die Probleme an ihrer Schule in Augsburg sind, die fast ausschließlich Kinder aus bildungsfernen Familien oder mit Migrationshintergrund besuchen. "Ich arbeite mit Schulschwänzern und mit Schulabtauchern", beschrieb sie. Dennoch sei sie froh, in dieser Schulart zu unterrichten. Sie versuche, sich um ihre Schüler zu kümmern, die oft einen ganzen Rucksack voll mit Problemen tragen müssten, und ihnen Halt zu geben.

Den Eltern dieser Kinder begegne sie respektvoll. Es sei sinnlos, von ihnen zu verlangen, "sie sollten oder müssten sich mal" besser um ihre Kinder kümmern. Denn die meisten Eltern ihrer Schüler seien dazu gar nicht in der Lage, beschrieb Brosche. Deshalb seien Ganztagsschulen so wichtig, damit die Kinder unabhängig vom Elternhaus gefördert würden. Sie bewerte ihre Schüler nicht nur nach Leistung, sondern versuche die ganze Persönlichkeit zu fördern und ihnen "Stärkespritzen" zu geben, da sie häufig ein schlechtes Selbstbild hätten. Die Pädagogin ärgert sich, dass Mittelschulen oft hässlich und wenig einladend sind. Gerade benachteiligte Kinder hätten ein "prächtiges Schulhaus" verdient.

Ein Gebäude, das Bildungs-Geschichte atmet, ist die Freisinger Sankt Korbinian-Grundschule, die 1844 von Nonnen als Mädchenschule gegründet wurde. Die heutige stellvertretende Schulleiterin Rita Patzelt, die selbst in den 1960er Jahren hier die Schulbank drückte, empfing ihre Gäste in der Aula. Seit vielen Jahren sei Sankt Korbinian bereits Inklusionsschule, aber inzwischen gebe es immer mehr Kinder in Regelklassen, die auch gefördert werden müssten, so Patzelt. Vor der Einschulung nähmen sich die Lehrer viel Zeit und schauten, was die angehenden Erstklässler alles könnten. Dazu gehöre auch, einen Ball zu fangen oder einen Stift zu halten. Aus neun verschiedenen Kindergärten mit unterschiedlichen Profilen kämen die Kinder. Die Lehrer versuchten, dieser Vielfalt gerecht zu werden und jedes Kind nach seinen Fähigkeiten, "die Schwierigen und die Sonnenscheinkinder", zu fördern.

Die Schwächeren erhielten extra Aufgaben zum Üben, diejenigen, die schon weiter seien, in einer Arbeitsgemeinschaft Knobelaufgaben zum Knacken. Patzelt sagte aber auch, dass man als Lehrerin aufpassen müsse, kräftemäßig seine Grenzen nicht zu überschreiten, da es unendlich viel für die Kinder zu tun gäbe.

Schließlich erfuhren die Teilnehmer dieses besonderen Stadtspaziergangs vor einem Nachhilfeinstitut, dass in Deutschland jährlich offiziell 900 Millionen Euro für Nachhilfe ausgegeben würden, die Dunkelziffer vermutlich um ein Vielfaches höher sei. Die Organisatorinnen der Veranstaltung, Magdalena Falkenhahn und Monika Heilmeier-Schmittner, hatten Tafeln mit Informationen zum Thema Nachhilfe vorbereitet. Der Schwarzmarkt dafür sei riesig, offiziell gebe es in Deutschland 4000 Institute und 50 000 Nachhilfelehrer, Qualitätsstandards gebe es für diese Institute jedoch nicht, hieß es. Die Organisatorinnen freuten sich am Ende des Abends, dass das "Gehen und Reden" so gut angenommen wurde. Da das Bildungswerk momentan keine Räume zur Verfügung hätte, sei man jetzt experimentierfreudig, schilderte die Theaterpädagogin Falkenhahn.

Zum Abschluss des Abends gab es in einer Kaffeerösterei noch einen Impuls für Körper und Herz, als die Teilnehmer unter Anleitung des Theaterpädagogen Philipp Schreyer in einer Pose ihre Vision für Bildungsgerechtigkeit ausdrückten: zu sehen waren lachende, freudige, skeptische und fragende Gesichter.

© SZ vom 04.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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