Kabarett im Lindenkeller:Gute und schlechte Werte

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Christian Springer zeigt eindrucksvoll, was ein unterhaltsames Programm ausmacht - es stimmt nachdenklich und ist dennoch lustig

Von Florian Beck, Freising

Die Titelseite des Freisinger Kulturprogramms für die Monate April, Mai und Juni ziert ein Mann mittleren Alters, der den Leser leicht vorwurfsvoll anblickt und dem von einer Hand an der Krawatte gezogen wird. Dieser Mann ist Kabarettist Christian Springer und nach seinem fulminanten Auftritt in Freising kann man definitiv behaupten, dass das Kulturamt beim Erstellen des aktuellen Covers keinen Fehler gemacht hat: Dieser Mann ist tatsächlich eines der Highlights dieses Vierteljahres.

Der 54-Jährige gastierte mit seinem Programm "Alle machen. Keiner tut was" im bis auf den letzten Platz besetzten Lindenkeller und zeigte eindrucksvoll, wie ein guter Kabarett-Abend aussehen sollte. Zum Auftakt seines Programms ging der Münchner auf ein Jubiläum ein, welches dem Publikum vor zwei Wochen größtenteils gar nicht aufgefallen sein dürfte: Ministerpräsident Markus Söder ist bereits seit einem Jahr im Amt! Das Ausbleiben großer Feierlichkeiten zeigt laut Springer lediglich die "Zurückgezogenheit und Stille" Söders. Danach zog der Kabarettist über "Bavaria One", das Raumfahrtprogramm der bayerischen Staatsregierung her: "Früher haben wir Kabarettisten die CSU zum Mond geschossen, heute machen sie es schon selber". Auch die Einführung weiterer Reiterstaffeln für die Polizei bedachte er bei seinem Rundumschlag. Die original bayerischen Werte, die gerade die CSU so oft hochhält, ließ Christian Springer bei seinem Auftritt ebenfalls nicht unkommentiert stehen: Die wichtigsten Werte in diesem Land seien keinesfalls Höflichkeit oder Pünktlichkeit, sondern vielmehr Blutdruck-, Cholesterin-, Abgas- und Promille-Werte.

Weiter ging es in der Springer-typischen Mischung mit lustigen und unbeschwerten Geschichten, wie etwa der vom Obstgeschäft seiner Eltern, die nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vom Großmarkt nur noch Obstkisten mit handschriftlich geänderten Herkunftsangaben bekamen, auf der einen Seite und ernsten Botschaften ans Publikum auf der anderen. Der Kabarettist ließ sich Zeit, drohte immer wieder abzuschweifen, kam vom Hundertsten ins Tausendste, aber man merkte: Das alles ist geplant, und das ist auch gut so. Denn es gibt sehr wohl einen roten Faden, der sich durch das Stück zieht.

Wenn Christian Springer von seinem ehrenamtlichen Engagement im Libanon und in Syrien und den "perversen" Verhältnissen dort, von Sophie Scholl und ihrem Vater, der von den Nazis eingesperrt worden war, und schließlich von Jens Spahns "widerlichem" Verhalten beim Besuch einer Hartz-IV-Empfängerin erzählt, dann wird deutlich, wie wichtig es ist, dass er sein Programm immer wieder mit etwas seichteren Schwänken auflockert. Denn nur so kann der Kabarett-Profi seinen zentralen Appell auch wirkungsvoll ans Publikum bringen: "Meine Mutter hat immer zu mir gesagt: Wenn einer hinfällt, dann helf ihm wieder auf, egal wer er ist. Danach kann man drüber reden, ob das jetzt ein Fehler war."

© SZ vom 16.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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