Jugendarbeit in Freising:"Einfach nur Gesprächspartner"

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Jugendliche können sich ab dieser Woche im Freisinger Jugendzentrum an der Kölblstraße treffen (Archivbild). (Foto: Marco Einfeldt)

Das Freisinger Jugendzentrum "Vis-à-Vis" ist für viele Jugendliche eine wichtige Anlaufstelle. Leiterin Birgit Schwaiger und ihr Team hören den jungen Leuten zu und helfen ihnen, eigene Ideen zu verwirklichen

Interview von Nadja Tausche, Freising

Ins Jugendzentrum "Vis-à-Vis" an der Kölblstraße kommen Jugendliche mit komplett unterschiedlichem schulischen Hintergrund. Die jüngsten sind elf, die ältesten etwa 20 Jahre alt. Was sie dort machen, wie Smartphones die Jugendarbeit verändern und warum manche Angebote besonders für die Entwicklung von Mädchen wichtig sind, verrät Leiterin Birgit Schwaiger im SZ-Interview.

Welche Angebote gibt es im Vis-à-Vis für Jugendliche?

Schwaiger: Das Herzstück ist der offene Betrieb, das Jugendcafé. Wie viele Jugendliche kommen, schwankt: Im Durchschnitt sind es etwa 20 pro Tag, es können aber auch mal 40 oder nur fünf sein. Wir Pädagogen sind dabei als Ansprechpartner für alle Anliegen da.

Geht es bei den Anliegen um persönliche Probleme der Jugendlichen?

Auch. Oder um Ideen für Freizeitgestaltung: dass jemand zum Beispiel einen Flohmarkt organisieren will. Wir kickern mit den Jugendlichen oder kochen zusammen, sie können mit uns aber auch Bewerbungen schreiben. Und sie können mit uns darüber sprechen, was in der Schule oder zu Hause passiert ist. Wir sind in einer anderen Position als Eltern oder Lehrer: Wir sind nicht so involviert, sind einfach nur Gesprächspartner und erst einmal kein Regulationsinstrument.

Was bietet das Jugendzentrum neben dem offenen Betrieb noch an?

Ein großer Bereich hier im Haus ist die Konzertkultur. Wir verwalten einen Bandproberaum und veranstalten öfter Festivals. Wir sind eine Anlaufstelle für alle Bands aus Freising und der Region. Außerdem versuchen wir im "Vis-à-Vis", jugendpolitisch etwas anzubieten: etwa mit der Fish-Bowl-Diskussion vor der Landtagswahl oder der U-18-Wahl. Und: Wir organisieren geschlechtsspezifische Angebote für Mädchen, zum Beispiel den Mädchenbrunch. Da bieten wir ihnen einen Schutzraum, weil Mädchen in der Regel nicht so raumgreifend sind und sich in einer offenen Gruppe eher zurückhalten.

Mädchen verhalten sich in einer gemischten Gruppe merkbar anders?

Ja. Sie sind in einer anderen Rolle, wenn Jungs da sind. Besonders in dem Alter, in der Vorpubertät und Pubertät, braucht es für die Entwicklung diesen Prozess des Austangierens: Wie positioniere ich mich zum anderen Geschlecht? Es ist aber auch wichtig, Räume zu finden, wo man für sich über Themen sprechen kann.

Brauchen Jungs in dem Alter auch so eine Abgrenzung?

Möglicherweise würden sie es brauchen. Wir bieten keine geschlechtsspezifischen Angebote für Jungs an, das ist vor allem ein personelles Problem. Vielleicht liegt es auch daran, dass Jungs in der offenen Jugendarbeit einen größeren Raum einnehmen. Außerdem haben wir automatisch viele reine Jungsgruppen, die Billardgruppe zum Beispiel. Wir merken: Mädchen muss man Räume neu eröffnen, Jungs haben eher schon gelernt, sich die Räume anzueignen.

Wie hat sich die Jugendarbeit durch Smartphones verändert? Ersetzt die Kommunikation per Handy teilweise das persönliche Treffen im Jugendzentrum?

Ich würde sagen, Handys ersetzen die Jugendarbeit nicht: Sie machen sie noch dringender notwendig. Wir wollen die Möglichkeit der analogen Kommunikation anbieten und Gegenangebote zu den Handys schaffen, sodass die zwischenmenschliche Kommunikation nicht total verloren geht. Für mich ist die größte Herausforderung in der Jugendarbeit der vergangenen Jahre, bewusst mit dieser Entwicklung umzugehen. Es ist die Lebenswelt der Jugendlichen, wir müssen sie in unsere Arbeit einbeziehen.

Welche Entwicklungen gab es in der Jugendarbeit in den vergangenen Jahren noch?

Es ist nach wie vor so, dass junge Menschen Räume suchen, um ihre Ideen umzusetzen. Es ist wichtig, eine Anlaufstelle zu bieten und dann gemeinsam zu schauen, wie man das verwirklichen kann. So erleben die Jugendlichen eine Selbstwirksamkeit: Sie haben eine Idee, sie engagieren sich und es kommt zu einem Erfolg. So merken sie, dass sie in der Gesellschaft etwas bewegen können. Je mehr solcher Erfahrungen ich im Erwachsenwerden habe, desto involvierter in der Gesellschaft erlebe ich mich und bin später eher bereit, mich für mich selbst und andere einzusetzen. Je mehr ich dagegen die Erfahrung mache, ich werde abgewiesen, ich bin nicht relevant mit meinen Ideen und mit dem, was mich bewegt, desto mehr werde ich mich distanzieren und entwickle ein unvorteilhaftes Selbstbild.

Was wäre die Folge?

Rückzug, dass man seinen Platz im Leben nicht findet oder ablehnt, was in der Gesellschaft passiert. Das Extrem wäre Straffälligkeit. Wir können in der Jugendarbeit nur einzelne Angebote machen. Aber es ist schön, wenn das Früchte trägt und die Jugendlichen begeistert sind, wenn sie sehen, was aus ihren Ideen entsteht.

© SZ vom 24.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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