100 Jahre Frauenwahlrecht:Für mehr Anstand in der Politik

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Gisela Landesberger und Bürgermeisterin Eva Bönig erinnern im Rathaus an die Erteilung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren in Bayern. In Sachen Gleichberechtigung gibt es wohl aber noch genug zu tun

Von Katharina Aurich, Freising

Bayern war das erste Bundesland, in dem am Abend des 7. November 1918 gleichzeitig mit der Ausrufung des Freistaates auch das Frauenwahlrecht verkündet wurde. Noch ein Jahrhundert zuvor seien Frauen, die dafür gekämpft hätten, auf dem Schafott gelandet, berichtete die ehemalige Frauenbeauftragte des Landkreises Gisela Landesberger. Gemeinsam mit Freisings Bürgermeisterin Eva Bönig erinnerte sie an die Vorkämpferinnen für die Gleichberechtigung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts unermüdlich Flugblätter verteilt, demonstriert, Unterschriften gesammelt und Eingaben an den Reichstag formuliert hatten, bis sie endlich auch wählen durften. Die beiden Referentinnen, Urgesteine der Frauenbewegung im Landkreis, freute es besonders, dass sie diesen Abend im großen Freisinger Rathaussaal feiern konnten und dieses Jubiläum damit seiner Bedeutung entsprechend gewürdigt wurde. Vor allem Bildung und das Recht, erwerbstätig zu sein, forderten engagierte Frauen für sich und ihre Geschlechtsgenossinnen schon vor hundert Jahren. In der Aufbruchstimmung, die in den Großstädten Berlin und München überall spürbar gewesen sei, seien diese Ideen auf fruchtbaren Boden gefallen und immer mehr Frauen hätten sich für ihre Sache engagiert, erzählte Gisela Landesberger. Doch sie wollten nicht nur wählen, sondern auch Rad fahren, was bis dahin als unschicklich galt. Da die weiten Röcken störten, begannen die Mutigen Hosen zu tragen, mit dem Rad zu fahren, zu schwimmen oder zu reiten. Vor allem die Katholische Frauenbewegung unter Ellen Amann und die sozialistische Frauenbewegung unter Clara Zetkin kämpften für die Rechte der Frauen.

Da politische Vereine bis 1908 für Frauen verboten gewesen seien, hätten sie sich andere Wege gesucht, um sich zu vernetzen, so Landesberger. Die Einführung des Wahlrechts war zwar ein entscheidender Schritt, die tatsächliche Gleichberechtigung von Mann und Frau jedoch noch in weiter Ferne. Denn Frauenrechte gab es zunächst kaum, eine verheiratete Frau war ihrem Mann vollständig ausgeliefert. Dies änderte sich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts. Aber selbst 1997 stimmten noch einige Abgeordnete im Bundestag dagegen, dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar sein soll. In den ersten Reichstag nach der Einführung des Frauenwahlrechts zogen 37 Frauen ein, das seien neun Prozent gewesen, berichtete Eva Bönig. In den Freisinger Stadtrat wurden im selben Jahr zwei Frauen gewählt - und 28 Männer. Die Frauen erhielten die schlechten Listenplätze, sie waren die Auffüller und man habe den Eindruck, das habe sich bis heute so gehalten, sagte Eva Bönig unter dem Beifall des Publikums. Obwohl die Gleichberechtigung inzwischen im Grundgesetz verankert sei, gebe es noch viel zu tun. Natürlich habe es erfolgreiche Frauen im Landkreis gegeben. So auch Käthe Winkelmann, die 1964 in Neufahrn zur ersten Bürgermeisterin Bayerns gewählt wurde oder Irene Gallisch, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Arbeiterwohlfahrt Freising gründete, aber es sei bis heute nicht selbstverständlich, dass Frauen an der politischen Macht beteiligt würden. Zwar saßen 1978 im Freisinger Stadtrat bereits 12,4 Prozent Frauen und heute seien es 40 Prozent, dennoch müssten Frauen unterstützt und gefördert werden, so Eva Bönig. Dies sei auch das Ziel des Freisinger Arbeitskreises für Fraueninteressen gewesen, der 1986 gegründet worden sei. Man wollte sich in der Stadt einmischen und das sei auch 30 Jahre lang gelungen, so die Grünen-Politikerin, die damals Mitglied bei den "Müttern gegen Atomkraft" war und natürlich dem Verein, zu dem auch Gisela Landesberger und viele bekannte Frauen im Landkreis gehörten, beitrat. Bönig plädierte für eine Frauenquote in der Politik und rief anlässlich des 100. Geburtstages des Frauenwahlrechts dazu auf, "es ist heute an uns Frauen, für Anstand in der Politik zu sorgen."

© SZ vom 09.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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