Interessierte bekommen jederzeit Tipps:Trendsetterinnen aus der Bäckerei

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Die Damen vom Stricktreff haben schon gehandarbeitet, als die Jugend so etwas noch extrem uncool fand. Jetzt sind sie "in". (Foto: Marco Einfeldt)

Zehn ältere Damen aus Allershausen treffen sich seit zwei Jahren zum gemeinsamen Handarbeiten im Café. Den Erlös aus dem Verkauf spenden sie für einen guten Zweck

Von Tobias Weiskopf, Allershausen

Es liegt der Duft von frisch gebrühtem Kaffee in der Luft, freundliche Gespräche dringen aus einer Ecke des Raumes. Dort sitzt eine Gruppe älterer Damen und redet über aktuelle Themen aus dem Ort. Es wird viel gelacht. Auf dem Tisch liegen zahlreiche bunte Wollknäuel, deren Enden an einer Nadel in Maschen zu kleinen Kunstwerken verwandelt werden.

Im Januar 2014 habe alles angefangen, erzählt Erika. Seitdem treffen sich die zehn Frauen im Alter von 66 bis 90 Jahren jeden Montagnachmittag in der Bäckerei Kaffeeklatsch zum Kaffeetrinken, Kuchenessen, Austauschen und insbesondere zum Stricken. Carmen, die Besitzerin des Ladens, habe ihnen die Räume zur Verfügung gestellt und unterstütze beim Verkauf der Waren. "Wir sind ihr sehr dankbar", sagt Erika. Mit ihrem Strick-Treff sind die Rentnerinnen wahre Vorreiterinnen, denn Handarbeiten liegen voll im Trend. Während sich lange Zeit nur Großmütter mit Stricken beschäftigten, boomen selbst gemachte Kleider und Accessoires nun auch bei jüngeren Menschen. Die herbstlichen Modezeitschriften quellen geradezu über mit Neuheiten und Trends aus Wolle. Jeder will sie haben, denn die flauschigen Teile sind nicht nur vielseitig und sehen gut aus, sondern halten auch schön warm. Da die meisten jungen Menschen weder stricken können, noch sich die Zeit dafür nehmen, es zu lernen, greifen sie zu Fertigware, denn inzwischen sind die Klassiker längst in den Modehäusern eingezogen, werden maschinell gestrickt und lassen sich selbst bei genauerem Hinschauen kaum noch unterscheiden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass einem auf der Straße Menschen mit dem gleichen Strickkleidungsstück begegnen. Die Individualität geht dabei aber verloren.

Die zehn Stricklieseln wahren das Besondere, die Einzigartigkeit eines jeden Teiles. Jede der Frauen habe ihre ganz individuellen Stärken. Eine kümmere sich vorwiegend um filigrane Decken, eine andere sei eher für die großen Stücke zuständig, erklärt Katharina, Älteste und Oberhaupt der zehn Damen. Sie sei auch die Lehrerin der Jüngeren, erklärt Erika, denn sie habe ihr das Stricken schon zu Schulzeiten beigebracht. Die fertigen, gestrickten Produkte hängen neben dem großen Schaufenster ordentlich auf einem Kleiderständer. Vor allem Kinderjacken und Westen sind dort zu finden. Auf einem Tisch liegen kleinere Kleidungsstücke und Accessoires: Handschuhe, Babyschuhe, Schals und Mützen. Jedes Teil ist einzigartig und hat seine eigene Geschichte.

"Socken sind der Renner", berichtet Katharina. "43-er brauche ich", fällt Carmen ein, "der ist 35 Jahre alt." "Dann kriegt er Bunte", entgegnet die Älteste der Damen und schon wird die Produktion in die Wege geleitet. Wer das, was er sich vorstellt nicht findet, kann in der Bäckerei seinen Wunsch äußern und dieser wird dann an die Strickdamen weitergeleitet. Dass ältere Damen von Trends und moderner Mode keine Ahnung haben, ist ein Vorurteil. Louis Sullivans Designleitsatz "form follows function" (Die Form folgt der Funktion), der aus dem Produktdesign und der Architektur kommt, findet in Mariannes Werk Niederschlag. Die Gestalt des Gegenstandes soll sich dabei aus seiner Funktion oder seinem Zweck ableiten, das trifft auf die Handschuhe, die die Fingerspitzen freilassen und trotzdem kalte Hände wärmen, zu. So ließe sich auch, ohne die Handschuhe ausziehen zu müssen, das Smartphone bedienen oder eine Zigarette rauchen, erklärt Marianne. Auch modische Loops, zu Deutsch Schlauchschals, sind gerade in Produktion. Neue Ideen sammeln die Damen in den Fachzeitschriften, die auf dem Tisch verteilt liegen. Maria plant schon für die nächste Sommersaison und möchte sich an einem gestrickten Bikini versuchen. Auch witzige Dekorationen stehen auf der To-do-Liste der Damen, so wird Gerte demnächst wieder Fensterkugeln und Eierwärmer fertigen.

Die Handarbeiten sind günstig zu haben. Im Schnitt zwischen fünf und 15 Euro muss man für die Strickwaren hinlegen, da können auch die großen Modeketten nicht mithalten: Ein Kleidungsteil, dass niemand sonst trägt, handgearbeitet und beste Qualität für günstige Preise. Marias Strickweste, die über 20 Jahre alt ist, ist der beste Beweis: hochwertig verarbeitet und sieht aus, wie neu. Der Erlös werde immer für ein Jahr gesammelt und dann wohltätigen Organisationen gespendet. In den vergangen Jahren gingen so jeweils um die 700 Euro an die Johanniter und die Nachbarschaftshilfe Allershausen.

Wer es mit dem Stricken doch selbst versuchen möchte, brauche nichts weiter als fünf Nadeln und ein Knäuel Wolle, erklärt Maria. Und natürlich eine Portion Fingerspitzengefühl und Konzentration, ergänzt Gerte. Die zehn Damen freuen sich über Besuche und geben den einen oder anderen Ratschlag. Das Wichtigste, was man über die Strickdamen wissen müsse, sei, "Humor ist bei uns Trumpf", erklärt Erika.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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