Intensivbetreuung in Hallbergmoos:Den Weg in die Zukunft ebnen

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Die beiden jungen Flüchtlinge haben mit (hinten von links) Mohammed Batal aus dem Jemen einen echten Philosophieprofessor zum Deutschlehrer. Daneben sind Gabriele Offermann und Rolf Schwert gerade auf Besuch. (Foto: Marco Einfeldt)

Das Haus Chevalier im Jugendwerk Birkeneck betreut junge unbegleitete Flüchtlinge. Sie können dort einen Beruf erlernen. Die Fertigkeiten können sie brauchen - wo immer sie später auch leben mögen

Von Alexandra Vettori

Es ist sehr wahrscheinlich, dass in Haus Chevalier im Jugendwerk Birkeneck demnächst Neuzugänge zu begrüßen sind. Dann nämlich, wenn Deutschland wie angekündigt 150 minderjährige Flüchtlinge aus dem griechischen Lager Moria aufnimmt. Bei der Eröffnung 1992 war das Haus Chevalier die erste Einrichtung in Bayern und bundesweit die zweite, die sich auf die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge spezialisiert hatte. "Wir sind vorbereitet", sagt Gabriele Offermann auch jetzt, sie ist stellvertretende Geschäftsführerin im Jugendwerk Birkeneck, zu dem das Haus Chevalier gehört.

In Birkeneck werden Jugendliche mit mehrfachen Verhaltensauffälligkeiten und straffällig gewordene junge Menschen intensiv betreut, stationär in heilpädagogischen Gruppen, teilstationär und ambulant. Dazu gehört der Besuch der angegliederten Schulen und danach gegebenenfalls in Werkstätten, wo man Lehren absolvieren kann. Alles Dinge, die auch jungen Flüchtlingen den Weg in die Zukunft ebnen. Derzeit wohnen im Haus Chevalier sieben Burschen aus Syrien, Afrika, Irak, Ägypten und eine Uigurin, alle im Alter zwischen 14 und 20 Jahren. "Clearing-Stelle" ist die offizielle Bezeichnung, im Sinne von klären, wie Gabriele Offermann betont. Hier versuche man, das Alter der jungen Flüchtlinge zu klären, die in der Regel ohne Papiere kommen. Und weil das deutsche Gesetz die Inobhutnahme von jungen Menschen unter 18 vorsieht, egal, ob deutsch oder nicht, werden sie so lange betreut, bis das Alter klar ist.

Drei freie Plätze gibt es momentan im Haus Chevalier. Dass es nicht mehr sind, liegt daran, dass in den vergangenen zwei Jahren seit dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei eine Reihe von Clearing-Stellen geschlossen wurde. Denn die spezielle Förderung junger Flüchtlinge kostet viel Geld, der aktuelle Tagessatz liegt bei 323 Euro. Dass sich die Arbeit lohnt, weiß nicht nur Gabriele Offermann, sie kennt viele Beispiele gelungener Integration. "Aber auch Jugendliche, deren Asylantrag abgelehnt wird, können das, was sie hier an Struktur, Inhalten und Fertigkeiten lernen, gut gebrauchen, egal, wo sie einmal leben", betont sie.

Erziehungsleiter Rolf Schwert nennt ein praktisches Beispiel: "Um 8 Uhr geht die Schule an, und nicht, wenn du ausgeschlafen hast." So etwas lernten die Kinder bei uns im Kindergarten, in vielen anderen Kulturen aber nicht. Oft seien es auch Illusionen vom Leben und Reichtum in Europa, die manche hegten, erzählt Offermann, "da müssen wir ihnen erst begreiflich machen, dass es nicht so ist und dass hier auch niemand auf sie gewartet hat."

Egal, wann die Polizei mit neuen minderjährigen Flüchtlingen vor der Türe von Haus Chevalier stehen, sie wird geöffnet. Ein Bereitschaftsdienst ist immer vor Ort. Und gleich nach dem Ausschlafen und vielleicht einer Dusche wird es in den Deutschunterricht gehen, "alles was Struktur ist, gibt Sicherheit", weiß Offermann.

Eines möchte sie noch betonen: "Nicht jeder Flüchtling ist automatisch traumatisiert". Das hänge vom Verlauf der Flucht und der Persönlichkeitsstruktur ab. Und sie will als, wie sie sich selbst nennt, "Anwältin der Realität" auch nicht verhehlen, dass eine ganze Reihe "Hasardeure" darunter ist. Im Haus Chevalier geht man nicht davon aus, dass es in naher Zukunft weniger Flüchtlinge gibt. "Wir könnten", sagt Ralf Schwert, "sogar eine dritte Gruppe eröffnen - aber wir haben kein Personal".

© SZ vom 12.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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