Hetze und Anfeindungen nehmen zu:"Feindseligkeit beginnt im Kleinen"

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Verbale Angriffe oder Hetze häufen sich im realen Leben ebenso wie in den sozialen Netzwerken. Vertreter von Kirche und Politik suchen im Kardinal-Döpfner-Haus nach Strategien für mehr Toleranz

Von Clara Lipkowski, Freising

Muslime, Langzeitarbeitslose, Sinti, Roma und Flüchtlinge: Diese Menschen werden von Bürgern in Bayern am häufigsten abgewertet. Das hat eine Studie ergeben, die Soziologen der LMU am Donnerstag im Kardinal-Döpfner-Haus vorgestellt haben. Titel der Veranstaltung war: "Wie gefährlich sind unsere Ängste?". Die Diskussion drehte sich dann aber mehr darum, wo die Ursachen für diese Ängste liegen und wie man Menschen begegnen kann, die andere abwerten, nur weil sie fremd sind. Werner Fröhlich, einer der Autoren der Studie, erklärte in seinem etwa halbstündigen Vortrag die Vorgehensweise (siehe Kasten), anschließend diskutierten vier Vertreter aus Politik, Kirche, beratender und karitativer Arbeit.

Nicola Hieke berichtete, dass sie steigende extreme Tendenzen in ihrem Alltag beobachte. Sie ist Leiterin der Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus. 2015 habe es noch 198 Beratungsanfragen gegeben, 2016 schon 348, also 150 mehr. Auch die Art der Anfragen ändere sich, sagte sie: Früher wollte man wissen, was zu tun sei, wenn Neonazis im Ort aufmarschieren oder Immobilien anwerben wollten. Heute gehe es um Anfeindungen und Hetze im realen Leben und in sozialen Netzwerken.

"Viel häufiger äußern sich Menschen im direkten Umfeld rassistisch - Freunde, Nachbarn oder Kollegen", sagte Hieke. Daher sei die Studie für die Präventionsarbeit sehr nützlich. Je mehr man über Abwertungen wisse, umso gezielter könne man in Beratungen gehen.

Auch der CSU-Landtagsabgeordnete Florian Herrmann fand, die Studie helfe bei der Präventionsarbeit, denn die Politik müsse in der Thematik Menschenfeindlichkeit "flexibler und sensibler" werden. Allerdings ergebe sie für die Arbeit des Verfassungsschutzes keinen direkten Handlungsbedarf, weil sie keine genauen Aussagen darüber treffen könne, wer genau extremistische Tendenzen zeige.

Markus Lutz vom Katholikenrat sagte, man wolle erreichen, dass die Gemeinden und Verbände sich mit dem Thema beschäftigten, die Kirche sei "nicht nur zum Beten am Sonntag da." Gerade bei neu aufkeimenden Gruppierungen müsse die Kirche aufklären.

Thomas Steinforth, Vorstandsreferent der Caritas München und Freising, nutze die Gelegenheit und hielt ein flammendes Plädoyer für ein humanes Miteinander. Vor den rund 40 Zuhörern warb er dafür, "wachsam zu sein, bei sich selbst und anderen" und Vorverurteilungen zu korrigieren. "Feindseligkeit beginnt im Kleinen, sie normalisiert sich und wird salonfähig, wenn wir uns nicht um Offenheit und Anstand bemühen." Eine offene Gesellschaft könne irritieren, sagt er. Habe jemand Angst vor Männern, die sich küssen, erwachse daraus aber kein Anspruch, dass sich Homosexualität zu verstecken habe. Für den Satz: "Manche politische Äußerung über Geflüchtete ist nicht politisch unkorrekt, sondern schlichtweg unanständig", erhielt er einen Extraapplaus. Dass es Politikern in hohen Ämtern an Anstand mangele, kritisierte auch Ulrich Bomme. Das zeigten Sätze wie "Wer betrügt, der fliegt", sagte der Vorsitzende des Raums der Begegnung aus dem Publikum heraus. Kritisiert wurde auch das Wort "völkisch". Dessen Verwendung hatte Frauke Petry (AfD) für legitim erklärt.

Manchen Politikern fehle es an Anstand, sagt Ulrich Bomme. (Foto: Marco Einfeldt)

Auch im alltäglichen Leben, auf der Straße und im Internet, verrohe die Rhetorik, meinte Nikola Hieke. Wie damit umzugehen sei, beantwortete der Moderator des Abends, Martin Becher, einfach selbst: "Es hilft enorm, Fragen zu stellen: Hast du das schon erlebt? Wie geht es dir damit, dass jetzt 30 Flüchtlinge in deinem Ort leben?" Damit zwinge man Leute, Gefühle oder Befürchtungen zu benennen, sagte der Geschäftsführer des Bayerischen Bündnisses für Toleranz.

Das gelte aber vor allem für den "1:1-Kontakt", wandte Nicola Hieke ein, den Freisinger Wirt etwa, der keine politischen Veranstaltungen mehr anbieten wolle, verstehe sie. Da hingen ja auch Mitarbeiter mit drin, die gefährdet werden könnten. Florian Herrmann widersprach. Es sei ein Unding, politische Diskussionen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. "Dann werden sie irgendwo im Geheimen abgehalten, wo man keinen Zugriff hat". Möglicherweise habe man eine gewisse Zeit nicht auf "diese Leute" geachtet, sagte Herrmann. Denn die Gedanken seien schon länger da gewesen, vermutete er, verstärkt und geäußert hätten sie sich aber durch Ereignisse, wie die vielen ankommenden Flüchtlinge etwa.

Auch der Umgang auf Facebook war Thema der teils hitzigen Debatte. Eine Zuhörerin sagte, sie wisse nicht, wie sie rechte Gruppen melden könne, von Facebook komme immer wieder die Antwort, sie seien nicht sperrfähig. "Schwierig", sagte Nicola Hieke, schließlich unterlägen amerikanische Unternehmen anderem Recht. Hier fehle schlicht das Geld für eine professionelle Stelle, die gegen so etwas vorgehe, meinte sie. Herrmann hingegen verwies auf geltendes deutsches Recht. Er habe Strafanzeige gegen einen User erstattet, der sich feindselig auf seinem Account geäußert hatte - mit Erfolg: "Der Mann wurde verurteilt."

© SZ vom 04.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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