Grundschule:Vertrauen macht stark

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Viele Eltern würden ihre Kinder am liebsten bis zum Klassenzimmer begleiten. Caritas-Psychologe Dietrich Arnold erklärt, warum Selbständigkeit auch für Erstklässler so wichtig ist

Interview Von Eva Zimmerhof, Freising

Die Zahl so genannter Helikopter-Eltern, die ihre Sprösslinge kaum einen Schritt alleine gehen lassen, scheint zuzunehmen. Vor Schulen etwa führt dies morgens regelmäßig zum Verkehrschaos. Das Landratsamt überlegt daher, an der Lerchenfelder Realschule die erste Kiss&Ride-Zone Freisings einzurichten, in der Eltern ihre Kinder einfacher mit dem Auto vorfahren können. Doch wie sehr müssen Eltern ihre Kinder eigentlich behüten? Diplom-Psychologe Dietrich Arnold von der Caritas-Beratungsstelle erklärt, was Grundschulkinder schon alleine schaffen sollen.

Herr Arnold, kann ein Erstklässler alleine zur Schule zu gehen?

Ja, aber das hängt weniger von der Entfernung als von der Verkehrssituation ab. Außerdem leben die Kinder in diesem Alter noch sehr in dem Moment und können sich noch nicht gut in andere hineinversetzen. Wenn Kinder zum Beispiel einen Autofahrer sehen, denken sie, der sieht mich auch. Für Erstklässler finde ich zuerst so etwas wie einen Laufbus sinnvoll. Das ist eine privat organisierte Gruppe von Kindern, die ein Erwachsener begleitet, und zu Fuß alle einsammelt. Ab Ende der ersten Klasse können die meisten Kinder alleine gehen. In diesem Alter haben die meisten Kinder wichtige Entwicklungsschritte vollzogen. Natürlich nur, wenn es ein kurzer Schulweg ist und nur wenig befahrene Straßen zu überqueren sind. Sonst sollte das Kind erst ab der zweiten Klasse alleine gehen - und nur dann, wenn klar ist, dass es dazu in der Lage ist.

Und nach dem stundenlangen Stillsitzen, wenn das Kind kilometerweit zur Mittagsbetreuung laufen soll?

Dann ist allerdings der Bewegungsdrang groß und gleichzeitig lässt die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, deutlich nach. Die Kinder sind dann besonders gefährdet im Straßenverkehr unüberlegte Sachen zu machen. Ich empfehle auch hier, dass zunächst ein Erwachsener eine Gruppe begleitet. Es ist ganz wichtig, Dinge wirklich einzuüben und nicht nur zu besprechen.

Ab Ende der ersten Klasse können die meisten Kinder alleine in die Schule gehen, findet Diplom-Psychologe Dietrich Arnold. (Foto: Marco Einfeldt)

Sollten die schüchternen und unsicheren Kindern dann nicht besser gefahren werden?

Die allermeisten Kinder können das lernen. Die Altersstufen, die ich genannte habe, sind aber nur Richtwerte. Je früher Eltern mit ihren Kindern so etwas einüben, desto fitter sind die Kinder. Die Eltern sollten ihren Kindern nicht alles abnehmen, sondern ihre Selbstständigkeit fördern.

Wie erkennen Eltern, dass ein Kind soweit ist, alleine zu gehen?

Wenn das Kind zum Beispiel von sich aus an der Straße anhält und guckt. Und wenn es dabei nicht mehr zu den Eltern hinaufschaut.

Was macht Kinder noch selbständig?

Schon in den Kindergärten lassen die Erzieherinnen Kinder mittlerweile Konflikte selbst klären. Stichwort Problemlösekompetenz. Die Kinder sollen lernen, Probleme selbst zu lösen. Das ist eins der wichtigsten Felder, mit dem Eltern ihre Kinder stark machen können, damit sie mit den Widrigkeiten des Lebens klarkommen.

Nach einem Streit sollen sich Kinder ohne Schlichter wieder vertragen können? Das schaffen selbst viele Erwachsene nicht.

Kinder in der ersten Klasse sollten zumindest eine Idee haben, wie sie den Streit mit dem besten Freund lösen können.

Nachmittagsbetreuung oder nicht, ab wann kann ein Kind eine Weile alleine zu Hause sein?

Dass ein Kind allein zu Hause ist, ist in vielen Familien eine Notwendigkeit. Für Grundschulkinder ist eine Nachmittagsbetreuung aber sinnvoll. Sie sind sonst mit der Hausaufgabensituation überfordert. Grob gesagt können Kinder ab der vierten Klasse ein oder zwei Stunden alleine zu Hause sein, wenn man es langsam einübt. Dem Kind zu früh etwas zuzumuten, führt zu Überforderung und damit zu Stress. Es hängt von dem Selbstbewusstsein des Kindes und von der Nachbarschaft ab - dort sollte jemand im Notfall erreichbar sein.

Und was ist wichtig, damit alleine zu Hause alles klappt?

Natürlich ist die Mediennutzung der Kinder häufig länger als erlaubt. Das ist einfach zu reizvoll. Da sollte es klare Vereinbarungen geben. Um alleine zu bleiben, sollte das Kind sich beschäftigen können. Wichtig ist die Fähigkeit, um Hilfe zu bitten. Eltern sollten mit dem Kind Notfallsituationen durchspielen und wirklich mit ihm zur Nachbarin Frau Müller gehen. Es sieht dann, Frau Müller ist wirklich da und bereit, mir zu helfen. Damit setzt man Sicherheitsanker.

Eltern, Kinder und Jugendliche können sich bei der Caritas werktags von 8 bis 16.30 Uhr und freitags bis 14 Uhr kostenlos beraten lassen. Abendtermine sind ebenfalls möglich. Die Beratungsstelle ist erreichbar unter Tel. 53 879 30.

© SZ vom 06.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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