Gemeinsames Fastenbrechen:Zeit zum Innehalten

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Das gemeinsame Fastenbrechen der Muslime in Freising beweist Solidarität: Das Essen dafür wird stets gespendet. (Foto: Marco Einfeldt)

Im Ramadan treffen sich etwa 300 Muslime abends, nach einem Tag ohne Essen und Trinken, im Innenhof der Islamischen Gemeinde. Die heitere Atmosphäre begeistert auch Gäste wie Pfarrerin Löser.

Von Clara Lipkowski, Freising

Noch ist es hell. Kinder huschen zwischen den Beinen der Besucher durch. Zu zweit hieven Männer riesige Alukessel mit heißer Suppe zum Buffet der Frauen. Hier wird wäschekörbeweise Salat getragen, dort schneidet ein Mann mit spitz zulaufendem Bart Fladenbrot in Dreiecke. Schon bald wird es dunkel sein, es ist kurz nach neun, das Essen muss auf die Tische. Die Menschen sind hungrig, sie haben den ganzen Tag nichts gegessen und getrunken.

Als es dämmert, greift Imam Idris Sandikci zum Mikrofon und beginnt zu singen. Viele der türkischen Gläubigen verstehen den Inhalt nicht, er singt auf Arabisch. An die 300 Menschen haben sich im Innenhof der Islamischen Gemeinde unter drei weißen Zelten versammelt. Etwa die Hälfte sind Flüchtlinge, die andere Hälfte türkische Familien, ein paar geladene Gäste sind gekommen, der Polizeivize Michael Ertl und Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche.

Es werden noch Bierbänke geholt, Männer geben einander Anweisungen auf Türkisch. Der Vorsitzende der Gemeinde Ömer Korkmaz spricht nun über die Bedeutung, die der Ramadan für Muslime hat, kurz darauf ergreift Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher das Wort. Es sei schön zu sehen, was für eine Solidarität in der Gemeinde herrsche, schließlich werde das Essen von Familien gespendet, sagt er. Tatsächlich stemmen zig Privatleute und lokale Unternehmer das Fastenbrechen, der Inhaber eines Reisebüros etwa und der eines Imbisses, den ganzen Ramadan, bis zum 24. Juni.

"Für mich bedeutet der Ramadan nicht nur, nichts zu essen, sondern auch mehr zu beten, im Koran zu lesen", sagt die 28-jährige Mihriban, die in der Mitte des Frauenzelts Platz genommen hat. Die junge Mutter Süheyla Kilic sagt, dass sie darüber nachdenke, wie es Armen gehe, die kein Essen haben und: Sie wolle sich auch seelisch reinigen, keine Schimpfwörter benutzen zum Beispiel. Ist es schwer, den ganzen Tag Verzicht zu üben, während der Arbeit? "Nein", antwortet ein Auszubildender, der vor zwei Jahren aus Afghanistan nach Freising gekommen ist. "Gott gibt mir die Kraft dazu. Dann ist es ganz leicht." Der 47-jährige Abdullah Faruque Fakir aus Bangladesch sagt: "Der Körper gewöhnt sich daran. Irgendwann geht das Gefühl weg, essen zu müssen." Was muss man beachten? "Nicht das Wasser oder die Zahncreme beim Zähneputzen schlucken", sagt Süheyla Kilic.

Tasneem, gerade sieben Jahre alt, fastet noch nicht. "Ich habe zu viel Hunger", sagt sie und grinst. Üblicherweise fasten Kinder ab 13, 14. Die zehnjährige Yelda hat das schon mal probiert. "Aber nach einem Tag war mir ein bisschen schlecht." Deshalb, sagt ihre Mutter, "haben wir es ihr auch nur für einen Tag erlaubt."

Auf den meisten Tischen stehen jetzt die weißen Tabletts, die hier jeder bekommt. Darauf kleine Portionen Suppe, Bohnen, Auberginenauflauf, Reis, eine Dattel, eine zuckrige Teignachspeise und daneben eine Flasche Wasser. Frauen der Gemeinde haben am Nachmittag auf großen Gasherden im Innenhof gekocht. Bevor es losgeht, formen alle ihre Hände ähnlich wie zum Wasserschöpfen vor der Brust und halten inne. Dann ein Schluck Wasser oder der Biss in die Dattel und das Mahl beginnt. Es wird nicht geschlemmt, sondern mit Bedacht gegessen. Niemand scheint es eilig zu haben, satt zu werden. Wen man fragt - die Antwort ist dieselbe: Das Fastenbrechen in der Gemeinschaft zu erleben zählt. Man fühle sich hier wohl und willkommen.

Ismet Ünal wird nicht müde, die Offenheit der Gemeinde zu betonen. Der Vereinssprecher arbeitet mit Stadt und Kirchenvertretern zusammen, lädt jeden ein, die Gemeinde kennenzulernen, kämpft um Anerkennung in Freising. "Da kann uns der Staat beobachten wie er will", sagt er trotzig und meint damit die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, die seit zehn Jahren besteht.

Offenheit zu demonstrieren, ist ihm gelungen. Die Stimmung ist heiter, herzlich. Pfarrerin Dorothee Löser ist begeistert von der Gastfreundschaft der Gläubigen, der OB verweilt bis spät in der Nacht in Gesprächen. Trotzdem verirren sich keine Freisinger, die nicht explizit eingeladen wurden, auf das Gelände. Sie schlürfen nach einem langen Arbeitstag auf dem Marienplatz ihren Aperol, während nur ein paar Schritte weiter - es ist Nacht geworden über Freising - schwarzer Tee ausgeschenkt wird.

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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