Freispruch:Hang zu Übertreibungen

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40-Jährige zeigt Asylbewerber wegen Nachstellens an - doch das Gericht glaubt ihm, dass er nur Deutsch lernen wollte

Von Peter Becker, Freising

Sein Drang, Deutsch zu lernen, hat einen 35-jährigen Asylbewerber in die Bredouille gebracht. Er hatte eine 40-jährige Freisingerin kennengelernt, die ihm versprach, ihm bei seinen Hausaufgaben zu helfen. Er hielt sich tatsächlich einmal bei ihr in der Wohnung auf, wobei sie ihm einen Zeitplan aufschrieb. Als der Mann das nächste Mal bei ihr vorstellig wurde, öffnete sie nicht mehr. Eine gute Woche lang versuchte der 35-Jährige wieder, zu der Freisingerin Kontakt aufzunehmen. Vergebens: Er stand stets vor verschlossener Tür. Noch schlimmer, durch sein Klingeln und Klopfen handelte er sich eine Anzeige wegen Nachstellens ein. Richterin Karin Mey sprach ihn am Freisinger Amtsgericht von diesem Vorwurf frei. Die 40-Jährige, immerhin die wichtigste Zeugin, ist derzeit unauffindbar. Ein Urteil über ihre Glaubwürdigkeit musste sich die Richterin über ein Aktenstudium verschaffen.

Die Frau war nach ihrer Anzeige weder zur Vernehmung durch die Polizei erschienen noch hatte sie auf eine entsprechende Ladung zur Verhandlung reagiert. Richterin Karin Mey hatte einen Freisinger Polizisten beauftragt, den Aufenthaltsort der Zeugin herauszufinden. Der war mehrmals zu ihrer Wohnung gefahren. Ein Blick durchs Fenster habe bei ihm den Eindruck erweckt, als habe sich dort längere Zeit niemand mehr aufgehalten, sagte er als Zeuge vor Gericht. Der Mann probierte auch eine Handynummer aus und hatte tatsächlich Glück: Er erreichte die Frau, die ihm sagte, sie sei derzeit in einer Kölner Klinik. Sie gab ihm ihre E-Mail-Adresse, damit er ihr die Ladung zur Verhandlung zuschicken könne. Diese stellte sich als falsch heraus. Seitdem ist der Kontakt abgerissen. Angeblich soll sich die Zeugin in neurologischer Behandlung befinden.

Richterin Karin Mey blieb nichts anderes übrig, als sich durch Aktenstudium ein Bild von der Glaubwürdigkeit der Zeugin zu verschaffen. Das fiel nicht zu deren Gunsten aus. Die Frau ist am Freisinger Amtsgericht vor einigen Jahren wegen Betrugs zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Sie hatte der Arbeitsagentur verschwiegen, dass sie wieder einen Job hatte, bezog aber weiterhin Arbeitslosengeld.

In den anderen Fällen hatte die 40-Jährige stets selbst Anzeigen erstattet. Markant ist vor allem ein Vorfall: Bei Poing im Landkreis Ebersberg hatte sie auf einem Reiterhof unbefugt eine Stallbox betreten. Der Besitzer hatte sie aufgefordert, diese wieder zu verlassen. Als Antwort schüttete die Frau ihm eine Tasse Kaffee ins Gesicht. Auf eine herbeigerufene Polizistin habe sie einen hysterischen Eindruck gemacht, zitierte die Richterin aus der Akte. Der Beamtin drängte sich der Eindruck auf, dass die Frau psychische Probleme habe. Das Verfahren wurde, wie die anderen auch, nicht weiterverfolgt.

"Der Aktenvermerk spricht Bände", sagte Richterin Mey in der Urteilsbegründung. Die Zeugin neige zur Übertreibung und habe kein Interesse, den Vorwurf aufzuklären. Ein klassisches Motiv für ein Nachstellen, eine beendete Beziehung oder sexuelles Interesse, liegt nicht vor. Mey glaubte dem Beschuldigten, dass er nur eine Hausaufgabenhilfe gesucht habe. Das ging aus einem Brief hervor, den er der Frau geschickt hatte, bevor diese ihn anzeigte. Das Einzige, was man dem Angeklagten vorwerfen könne, sei eine gewisse Aufdringlichkeit.

© SZ vom 09.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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