Baulücke mit Tücken:Feingefühl auf dem Schuttberg

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Ein riesiges Loch gähnt an der Freisinger Hauptstraße, wo bis vor kurzem noch das Bavaria-Kino stand. (Foto: Marco Einfeldt)

Beim Abriss des früheren Bavaria-Kinos mitten in der Altstadt ist höchste Vorsicht geboten, damit die Nachbargebäude keinen Schaden nehmen. Der erfahrene Baggerführer arbeitet dazu sogar mit Matratzen

Von Katharina Aurich, Freising

Seit einer Woche röhrt an der Unteren Hauptstraße der Abrissbagger und zerschlägt Stück für Stück das ehemalige Bavaria-Kino. In zehn Tagen, wenn der letzte Schutt abtransportiert ist, wird von dem 1956 errichteten Haus nichts mehr übrig sein. Danach lässt der neue Besitzer, der Immobilienentwickler EEW, ein neues Gebäude erstellen, in dem auf drei Stockwerken die Modekette h&m einziehen wird.

Doch bis es so weit ist, hat Baggerführer Josef Koller noch einiges zu tun. Das Besondere an diesem Abriss sei die Enge und Nähe zu den Nachbarhäusern sowie die Staubentwicklung, erläutert er. Aber mit der Abrissgenehmigung seien natürlich eine ganze Reihe von Auflagen und Sicherheitsmaßnahmen verbunden, die Beeinträchtigungen für Nachbarn und Passanten minimieren sollen. Bisher hat es nur eine Beschwerde bei der Stadt gegeben. Ein Bürger kritisierte die Fahrbahnverschwenkung und das damit verbundene Halteverbot. Die Situation werde übersichtlicher, wenn weitere Fahrbahnmarkierungen aufgebracht sind, vertröstet Christl Steinhart, Sprecherin der Stadt Freising.

Bevor die Stadt die Abbruchgenehmigung erteilt hat, überprüfte ein Statiker, ob die Nachbargebäude dem Abriss stand halten. Da das Gebäude zum Ensemble "Domberg und Altstadt" gehört, muss für die denkmalschutzrechtliche Erlaubnis zum Abbruch eine Fachkraft für Denkmalschutz beteiligt werden, sie schaut bei den Erdarbeiten nach historischen Funden. Bisher liegen die Fundamente aber noch unter einem gewaltigen Trümmerberg. Der wird in den nächsten Tagen noch wachsen, während die Baggerschaufel weiter vorsichtig die Wandreste des ehemaligen Kinos abschabt, die noch am Nachbarhaus kleben.

Zentimeter für Zentimeter kratzt die Metallschaufel über das bröckelige, alte Mauerwerk, sodass Steine und Mörtel herab krachen. Noch im Fallen werden sie mit Wasser aus einem Feuerwehrschlauch besprüht, um die Staubwolken möglichst klein zu halten. An den jetzt nackten Mauern der Nachbarhäuser sieht man, wie die Wohnungen im Bavaria Haus geschnitten waren, in denen jahrzehntelang Menschen gelebt haben.

Im Führerhaus des Baggers, der waghalsig auf dem Schuttberg thront, sitzt Josef Koller jeden Tag acht Stunden lang. Seit 30 Jahren ist dies sein Job, der ihm immer noch Spaß mache, sonst könnte er diese verantwortungsvolle Aufgabe, die ständige Konzentration erfordere, nicht bewältigen, erzählt er. Mit Fingerspitzengefühl drückt Koller die Hebel, ein bisschen zu weit und schon würde die Wand des Nachbarhauses beschädigt. "Die Bedienung der riesigen Schaufeln geht einem in Fleisch und Blut über", sagt er. Man müsse mit dem Baggerarm immer im 45-Grad-Winkel zur Mauer arbeiten, damit einen die Mauerreste nicht treffen.

In Minutenschnelle kann Koller hydraulisch die riesigen Werkzeuge am Baggerarm wechseln: die Betonschere, die mit einem Druck von 180 bis 200 Tonnen arbeitet, die gezackte Schaufel, die den Schutt planiert oder Mauerreste abschabt und den Greifer, der fast vorsichtig Metallteile oder Holzbalkenstücke aus der Ruine entfernt.

Der Abriss befördert nicht nur eine Menge Mauerreste zu Tage. Zu einem großen Berg türmen sich auch die Vorführgeräte des ehemaligen Kinos. Der Greifer schnappt sich die Metallteile, schwenkt sie in der Luft und lässt sie krachend auf den großen Haufen fallen. Die unterschiedlichen Materialien, - Metall, Mauerreste und Beton, aber auch Asbest, Mineralschutt und -wolle werden bereits beim Abriss getrennt und entsorgt, erläutert Koller.

Solch ein Projekt berge auch immer wieder Überraschungen, denn das Gebäude des Bavaria-Kinos sei nicht aus einem Guss, sondern es wurde im Laufe der Jahrzehnte immer wieder angebaut und verändert. Beim Abriss werde die ganze Baugeschichte des Hause freigelegt, wenn zum Beispiel die Balkendecke plötzlich aufhörte und eine Betondecke beginne. Dann könne sich plötzlich auch die Statik des Gebäudeteils ändern und wieder seien Erfahrung und Fingerspitzengefühl gefragt, um die Mauern Stück für Stück abzureisen, ohne dass das gesamte Gebäudeteil unkontrolliert in sich zusammen krache, führt der Baggerfahrer aus.

Vor einigen Tagen rätselten Passanten über die Berge von Matratzen, die sich auf der Baustelle stapelten. Koller erklärt, dass die Verwendung der weichen Matratzen eine übliches Verfahren sei, mit dem das benachbarte Dach, im vorliegenden Fall das der Drogerie Rossmann, vor herab fallenden Steinen geschützt werde. Auf dem Flachdach neben der Baustelle wurden erst die Matratzen und dann Bretter ausgelegt, so dass die Steine weich fielen. Vermutungen, dass sich im Keller des Kinos vielleicht gemütliche Räume mit weichen Liegeflächen oder ein Massenlager befunden habe, bestätigten sich nicht.

© SZ vom 14.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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