Freising:Das Schlachtross und der Nuschel-Workshop

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Ottfried Fischer kam im Abseits nicht ohne moralischen Zeigefinger aus. (Foto: Marco Einfeldt)

Ottfried Fischer überzeugt im Abseits mit Hintersinn statt schnellem Witz. Der Parkinson, die "feige Sau", ist immer gegenwärtig.

Von Christoph Dorner, Freising

Dass Ottfried Fischer einen Kabarettabend mit "Rock Around The Clock" beginnt, ist schon ein ziemlicher Witz. Schließlich ist der Song von Bill Haley seit 50 Jahren eine Feier jugendlichen Durchhaltevermögens. Fischers aktuelles Programm heißt dagegen altersgerecht: "Jetzt noch langsamer".

Anfangs hatte man sich gewundert, dass Fischer sich das noch antut, im Freisinger Abseits vor gut 100 Leuten aufzutreten. Doch Fischer kann nach 30 Bühnenjahren gar nicht anders - trotz Alter, Übergewicht, Parkinson. Er ist ein Getriebener, eine Rampensau, auch wenn es ihm sichtlich schwer fällt, die eine Stufe auf die Musikbühne zu nehmen.

Daher musste er von seinem Freisinger Bühnenmusiker Norbert Bürger nicht groß überredet werden, im Abseits aufzutreten. Denn Fischer hat an diesem Abend eine lokalpolitische Mission. Er will nicht, dass ein "Rock'n'Roll-Juwel" wie das Abseits dicht machen muss. Nach über 35 Jahren soll die Musikkneipe zum Jahresende einem Neubau weichen. Für Fischer ein Grund, dem gräflichen Grundbesitzer mit seinem Trinkvermögen zu drohen: "Wenn der Moy das hier abreißt, glaubst du, ich sauf' dem sein Bier noch einmal? Und das merkt der."

Geht es um das Verhältnis von Bürger und Politik, kann Fischer immer noch schnell bissig werden. Dann schimpft er gegen die CSU, die Bayern als Bildband verkaufe und gleichzeitig den Leuten ihre Heimat wegnehme oder Vertriebene abweise: "Das geht nicht, das tut man nicht." Sonst hat Ottfried Fischer kein pointiertes Kabarett-Programm vorbereitet, sondern einen bayerischen Abend im Freistil. Stand-Up-Comedy, Musikkabarett, Gedichte und Werbespots von der Leinwand wechseln sich ab. In der Werbung ist Fischer bei albernen Frühsportübungen zu sehen, bei denen er kalauernd sein Buch "Das Leben ist ein Skandal" ins Bild hält.

Nicht alles, was der schwer schnaufende, schwitzende Fischer zu sagen hat, ist an sich lustig. Manchmal ist er entgegen des Programmtitels zu schnell und hektisch, will vielleicht doch den Parkinson mit Worten niederringen, und verzettelt sich dabei. Dann vergisst Fischer, was er eigentlich sagen wollte, und wird von seinem Blasinstrumentalisten Leo Gmelch daran erinnert. Mitleid braucht Fischer deshalb noch lange nicht. Rührend ist es trotzdem, wie offensiv er damit umgeht, dass man ihn manchmal nicht mehr ganz ohne weiteres versteht. Dann gibt er einen kurzen Nuschel-Workshop, bei dem viel Ironie und etwas Trotz durchschimmern: "Wenn einer etwas nicht versteht, hat er selbst den Fehler gemacht."

In der Pause hängt Fischer im Vorraum schwer in einem Sofa und gähnt brüllend. Denn der Parkinson, diese "feige Sau", äußert sich bei ihm in zunehmender körperlicher Erschöpfung. Trotzdem kommt er nach der Pause grinsend im albernen Hemd mit Bierglas-Motiven zurück und liest eine imaginäre Passage aus seinem Buch vor. Darin sagt eine Frau zu ihm: "Nimm mich endlich, dicker Unbekannter." Das stünde natürlich nicht in dem Buch, sagt Fischer keck - und ist schon wieder ganz woanders. Ob die Leute im Abseits die Anspielung auf seine "Prostituierten-Affäre" mitbekommen haben?

In solchen Momenten ist Fischer vielleicht nicht am lustigsten, aber als altes Schlachtross kurz vor der Heiligsprechung fast am besten. Denn der Hintersinn und die Melancholie aus seinen Gedichten und Kindheitserinnerungen stehen ihm fast besser als der schnelle Witz. Zum Schluss singt er "Ruby Tuesday" von den Stones. Wenn es irgendwann soweit sein wird, dass er doch abtritt, wird man ihn vermissen.

© SZ vom 14.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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