Familienbegleiterin:Wenn Kinder sterben

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Wenn Kinder sterbenskrank sind, braucht die ganze Familie Hilfe. Kinderhospiz-Begleiterin Brigitte Thalhammer gibt sie. (Foto: Marco Einfeldt)

Brigitte Thalhammer ist seit vielen Jahren Freisings einzige Familienbegleiterin. Sie kommt, wenn es bei Kindern um Leben und Tod geht. Im Interview erzählt sie, wie sie in Krisensituationen helfen möchte.

Von Laura Dahmer

Freising - Sie ist da, wenn es um Leben und Tod geht - und zwar bei Kindern. Seit vielen Jahren ist Brigitte Thalhammer die einzige Familienbegleiterin in Freising. Die 54-Jährige hat bisher zwei Familien betreut, sie selbst hat zwei erwachsene Kinder. Neben dem Ehrenamt, das sie für die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München ausübt, arbeitet sie im Marketing einer Softwarefirma. Im Interview erzählt sie vom Tod, der Isolation vieler Familien und warum sie sich keine Grenzen setzt.

SZ: Frau Thalhammer, Sie begleiten Familien mit sterbenskranken Kindern. Ändert das den eigenen Umgang mit Tod?

Brigitte Thalhammer: Ich habe jetzt einfach null Angst mehr. Und keine Angst, dabei zu sein, wenn jemanden gerade seinen letzten Weg geht. Mein Mann hatte vor vier Jahren einen Herzinfarkt. Da habe ich vor der Intensivstation gestanden und mich gefragt: Was mache ich jetzt, wenn sie rauskommen und sagen, er ist verstorben? Mich hat es nicht umgehauen. Ich habe mir gedacht: Auch dann geht es weiter. Ich habe einen inneren Frieden damit.

Diese Einstellung ist in unserer Gesellschaft keineswegs selbstverständlich, das Thema wird oft gemieden.

Das ist ein Riesenproblem. Als Familienbegleiter bist du oft der Einzige, den die Familie noch hat. Weil Freunde oder Verwandte sich abwenden. Wenn bei einer Familie nur der Hauch von Tod oder Sterben in der Luft liegt, dann gehen sie einfach, aus Angst. Dabei siehst du gerade bei den Kindern der betroffenen Familien so deutlich, wie normal es eigentlich ist. Wenn die zu ihren toten Geschwister hingehen dürfen, haben die keine Monstergeschichten im Kopf. Für mich ist offensichtlich, dass der kleine Bruder in der ersten Familie deswegen so gut Abschied nehmen konnte.

Ist es also etwas, was wir so lernen: Tod ist etwas Schlimmes?

Ich glaube, ja. Bei der ersten Familie sind die besten Freunde, die Paten des Kindes, gekommen, um sich zu verabschieden. Und deren Kinder wollten auch rein. Da meinte die Mutter: "Nein, geht nicht rein! Behaltet Anna (Name geändert) so im Kopf, wie sie war." Für mich der blödeste Satz, den es überhaupt gibt. Die haben sich dann nicht mehr getraut, sich nicht verabschiedet. Das war für die Eltern von Anna ganz komisch, und für die Kinder auch. Und du unterstützt wieder das: Tod, weg. Wenn sich das ändern würde, wäre es einfacher. Dann wären die Familien oft nicht so alleine.

Haben Sie bei Begleitungen erlebt, wie sich das Umfeld völlig abgewendet hat?

Ein Teil, ja. Die erste Familie hat einen Kern, den sie immer noch hat. Nach dem Tod hat sie sich ihr Umfeld auch wieder aufgebaut. Aber die zweite Familie war total isoliert. Die hatten niemanden mehr. In der Stadt wurde sogar von der Familie herumerzählt. "Die Familie mit dem kranken Kind". Ich hätte nie gedacht, dass es so was gibt. Das ist etwas, was man bereden muss.

Muss man da nicht auch aufpassen, sich als Begleiterin emotional nicht zu sehr auf die Familie einzulassen? Wo muss man da Grenzen setzen?

(Lacht.) Mein Lieblingsthema, Grenzen setzen! Wie oft ich das gehört hab, in meinem letzten Einsatz: "Du musst Grenzen setzen!" Ich bin eher ein grenzenloser Typ. Ich geh in eine Begleitung rein und bin da. Aber dieses Reingehen, und das Rausgehen, das ist für mich ein ganz wesentlicher Punkt. Ich sag den Kindern immer: Die Brigitte kommt jetzt. Dass einfach klar ist: Ich bin jetzt da. Beim Rausgehen funktioniert das genauso. Und wenn ich da bin, bin ich grenzenlos da. Und auch in dem Familiengefüge drin, das bleibt nicht aus. Irgendwo ordnest du dich ein, ordnen sie dich ein.

In einer Situation, wo es plötzlich um Kindstod geht - ist das nicht belastend?

So empfinde ich das gar nicht. Wenn ich das Geschwisterkind begleite, habe ich eigentlich das Tollste vom Tollen. Bei meiner ersten Begleitung bin ich mit dem Kleinen das erste Mal zum Friseur gegangen, das erste Mal zum Spielplatz, zum Fußballtraining. Erst wenn das kranke Kind in eine Krise kommt oder stirbt, dann hast du die Eltern und andere Themen. Aber es geht schon tiefer als Babysitten. Weil die Kinder auch genau merken, warum du da bist. Das Geschwisterkind merkt einfach: Du bist wichtig für die Eltern. Und dass du da bist, auch wenn eine Krise kommt.

Wenn ein Kind stirbt, ist es schwierig zu wissen, was man ansprechen kann. Woher wissen Sie, was geht, was nicht geht?

Das hab ich mir bei meiner ersten Begleitung auch gedacht. Aber du kriegst da einfach ein Gefühl. Ich habe mich am Anfang zurückgehalten, habe nie von mir aus irgendwas angesprochen. Und immer gewartet, bis die Familie damit gekommen ist. Die Eltern sind ja auch gerade die, die Kommunikationsbedarf haben. Die Unterstützung brauchen. Oder die jemanden brauchen, bei dem sie rauslassen können, was an Ängsten, was an Zukunftsgeschichten im Kopf sind. Da bist du als Familienbegleiterin Kompetenzstelle. Wo die wissen, ich kann mit ihr über Tod, über Beerdigung, über Krankenhaus, über ich weiß nicht was alles reden. Die ist ja dafür da. Und sie weiß auch Bescheid. Ich glaube schon, dass das für die Eltern wirklich ein wichtiges Gegenüber ist. Für diese Themen, wo sie keinen anderen haben. Weil das sind alles Tabuthemen. Wo keiner, kein Verwandter, kein Freund, gern drüber redet.

Sie haben bisher zwei Familien begleitet, im neuen Jahr folgt die dritte. Das erste Kind ist, haben Sie erzählt, gestorben. Wie lange geht eine Begleitung?

Unterschiedlich, bei Anna war ich drei Jahre. Sie ist mit sieben gestorben, war krank ab kurz vor dem zweiten Geburtstag. Da kam die Diagnose für einen Gendefekt. Bei der zweiten Begleitung war es Krebs. Sie war ein dreiviertel Jahr alt, also noch ein richtiges Baby. Sie hatte die Aussicht auf ein halbes Jahr. (Macht eine Pause.) Das ist mein Wunderkind. Die geht jetzt in die Schule. Sie ist durch alles durch, was man sich denken kann, alles Medizinische.Sie sie ist jetzt gerade tumorzellenfrei und voller Lebenslust.

Wie ist das, wenn man die Begleitung abschließt? Ziehen Sie sich dann völlig zurück und der Kontakt geht weg?

Ich glaube, am geschicktesten ist es. Wenn du das Ehrenamt 20 Jahre lang machst, dann hast du fünf, sechs, sieben, acht Familien hintendranhängen. Ich hab es für mich so gemacht: Meine erste Familie, das habe ich gesagt, die halte ich mir. Wenn die passt, dann darf das eine Familie sein, die ich länger mitnehme. Bei der zweiten Familie war ich dann so nah dran, und die Familiensituation so schwierig, dass für mich immer unklar war, ob das kranke Kind wirklich das kriegt, was es braucht. Ob das überhaupt gesehen wird. Als ich dann raus bin, war ich sehr schlau. Ich habe mit dem Kind ausgemacht: Wenn es ihr schlecht geht, dann soll sie der Mama sagen, die Mama soll die Brigitte holen. Dass ich immer da bin, wenn es ihr schlecht geht. Das hat sie sogar schon gemacht, als sie wieder im Krankenhaus war. Da hat sie mich geholt. Und das hat mich beruhigt, da kann ich jetzt super gut gehen.

© SZ vom 27.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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