Erschreckendes Ergebnis:Fluss ohne Leben

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Zwei Weihenstephaner Wissenschaftler haben den Bach Moosach genauer untersucht und dort fast keine Bodenorganismen mehr gefunden. So sieht es in fast jedem Fließgewässer aus, der Grund ist die Ufer-Befestigung

Von Katharina Aurich, Freising

Die Wasserqualität in unseren Flüssen wird dank moderner Technik, die Schadstoffe in Kläranlagen herausfiltert, immer besser. Doch die Gewässerstruktur ist gestört, dort wo kleine Organismen leben. Zu diesem Ergebnis kommen die beiden TU-Wissenschaftler, der Aquabiologe Professor Jürgen Geist und der Bodenkundler Karl Auerswald, die beide am Wissenschaftszentrum Weihenstephan zum Zustand unserer Gewässer forschen.

Sie beobachten, dass Flüsse und Bäche verschlammen, der kiesige Gewässergrund mit seinen Hohlräumen abgedichtet wird, sodass dort kein Leben mehr möglich ist. Nicht etwa die Erosion aus der Landwirtschaft sei die Ursache für diese Entwicklung, so die beiden Forscher, sondern die Flüsse hätten viel zu wenig Platz, um bei Hochwasser Auen zu überfluten, zu mäandern und dort das Feinmaterial abzulagern. "Einen natürlichen Fluss kennen wir alle nicht mehr", so Auerswald. Vor zweihundert Jahren sei die Isar in München einen Kilometer breit gewesen, heute sind es vielleicht noch 40 Meter. Man sehe zwar die Forelle im Bach schwimmen, aber was am Flussgrund passiere, das sehe man nicht. Dabei befände sich unter der Erde das sogenannte "hidden half", die verborgene Hälfte aller Lebewesen. Die Larven zahlloser Wasserbewohner und die Fischbrut benötigten dort kleine Lücken, einen geschützten Raum mit sauerstoffreichem Wasser am Gewässerboden, um sich zu vermehren. Aber diese Lücken sind von Feinmaterial verstopft.

"Wir haben viel Geld in die Wasserqualität investiert, aber die Lebewesen im Wasser pflanzen sich nicht mehr fort", so Auerswald. Die meisten Fische, die sich heute in den Gewässern fänden, seien Besatz, vom Menschen eingesetzt. Die Wissenschaftler hatten die Moosach, die zwischen dem tertiären Hügelland und der Münchner Schottereben in einem weitgehend künstlichen Bett fließt, genau unter die Lupe genommen. Regelmäßig wird der kleine Fluss alle paar Jahre ausgebaggert und mehrere tausend Kubikmeter Schlamm werden entfernt. Die Moosach sei kein Fluss mehr, sonder nur noch ein Gerinne, sagen die Wissenschaftler. Anhand von Bohrkernen aus dem Flussgrund erfuhren sie, dass dort eine undurchdringliche Schlammschicht alles Leben erstickt. Bisher habe man der Erosion aus der Landwirtschaft die Schuld für die Verschlammung der Gewässer gegeben, aber Erosion gab es schon immer, auch aus nicht bewirtschafteten Flächen, betont Auerswald.

Luftbilder eines Flusses in Lappland, der sich in einem riesigen Delta ausbreitet und sich mit verzweigten Armen seinen Weg bahnt, zeigten braunes Wasser, der Fluß führe Erde mit sich. Aber das große Gewässer lagere das Geschiebe, die Sedimente und das Feinmaterial in den Auen ab. Dies sei jedoch in den dicht besiedelten Ländern Europas nicht mehr möglich. "Wir geben unseren Flüssen viel zu wenig Raum, so darf die Amper zum Beispiel nicht mehr aus ihrem Bett heraus", kritisiert der Wissenschaftler. Die Flussauen würden sogar besonders intensiv zugebaut, "da kann man doch wunderbar Straßen bauen, alles ist schön flach ohne Hügel", sagt Auerswald mit bitterem Unterton. Und die Konkurrenz unter den Gemeinden, im Überschwemmungsgebiet noch ein Gewerbegebiet auszuweisen und günstig anzubieten, sei groß. Jede Kommunen denke, wenn sie ein kleines Stück in die Flussauen baue, sei das nicht schlimm, aber diese Flächen sollten generell für eine Bebauung tabu sein, fordert Auerswald. Dabei habe Anfang des 19. Jahrhunderts alles aus gutem Grund begonnen: Um die Städte vor Überschwemmungen zu schützen, Cholera und Typhus einzudämmen, Flächen für die Landwirtschaft zu gewinnen und Transportwege zu schaffen, wurden überall auf der Welt bis zur Perfektion Flüsse begradigt, eingezwängt und Kanäle gebaut. "Bis heute ist die Flussaue immer der Verlierer", so Auerswald. Die Reste dieser wertvollen Flächen, die noch vorhanden seien, sollten unbedingt tabu sein und Flüsse endlich wieder mehr Raum zum Mäandern bekommen, damit die Gewässerstrukturen verbessert, die am Grund lebenden Arten gerettet und die Menschen vor Hochwasser geschützt werden, appellieren die Wissenschaftler.

© SZ vom 24.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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