SZ-Serie: Eine Freisingerin in Dunkerque (5):Angekommen

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Katharina Horban und ihre Gastfamilie feiern Silvester. Mit einem Essen, das über Stunden geht. In ihrem zuständigen Rotary Club hält sie einen Vortrag über Deutschland und stellt fest, dass es bei den Franzosen viele Klischees über ihre Heimat gibt

Von Katharina Horban, Freising/Dunkerque

Es ist dunkel und es weht ein kalter Wind. Im Hintergrund hört man das Meeresrauschen. Der Sand knirscht unter den Schuhen, von den zahlreichen Winterstürmen auf die Strandpromenade geweht. Es ist der letzte Tag des Jahres 2015, ich laufe mit meiner Familie am Strand entlang, bevor es dann zum Bruder meines Gastvaters geht, wo mit der ganzen großen Familie Silvester gefeiert wird.

Etwas später am Abend, das Wohnzimmer wird immer voller. Immer mehr Familienmitglieder kommen an. Es herrscht eine lustige und entspannte Stimmung, alle freuen sich, die Verwandten zu sehen. Dann wird der Aperitif herumgereicht, das sind in Frankreich meist kleine Häppchen. Je nach Anlass der Feier hängt es ab, ob es Chips und Salami gibt oder aufwendig bereitetes Fingerfood wie gefüllte Blätterteigtaschen mit einer Tomatenkräutercreme oder Kürbismousse. Der Aperitif dauert knapp drei Stunden, dabei trinken die Erwachsenen Wein und die Kinder Saft. Es wird sehr viel geredet und sehr langsam gegessen. Gastmutter Karine sagt mir: "Wenn es Mitternacht ist, sind wir etwa bei den Entrees angelangt." Und danach kommen noch der Hauptgang und die Desserts. In Deutschland kennt man das so nicht, Essen hat eine andere Bedeutung als in Frankreich. Während des Aperitifs spielen wir ein paar Spiele: Ich bin bei Pantomime dran, ziehe eine Karte und muss den Film "Ziemlich beste Freunde" darstellen. Sie sind erstaunt, dass ich den Film kenne und ich sage, dass er sehr erfolgreich in Deutschland war. Überhaupt kommen französische Komödien bei den Deutschen gut an. Der Zeiger der Uhr rückt immer näher Richtung Mitternacht, die Entrees werden serviert.

Es gibt unter anderem Foie Gras, das ist Gänseleber und eine französische Spezialität. Die Frau des Bruders meines Gastvaters hat dieses Festessen für alle zubereitet, in Frankreich vollkommen normal, dass so aufgekocht wird. Im Fernsehen wird der Countdown herunter gezählt, und dann beginnt das Jahr 2016. "Bonne année, bonne santé!", wünscht mir Gastschwester Mathilde. Und dann wird weitergegessen: Nach einem sehr leckeren Hauptgang gibt es den Dessert. Ein großer Käseteller steht auf dem Tisch, in Frankreich zählt der als Dessert. Dann gibt es aber doch noch den konventionellen Dessert in Form von Himbeersorbet und Zitronentarte. Es wird gegessen und schließlich ist es 4.30 Uhr morgens.

Zum Abschluss hat ihre Gastfamilie Katharina Horban in ein Muschelrestaurant eingeladen, wo es über fünfzig verschiedene Muschelrezepte gibt. (Foto: privat)

Zwei Tage später, wir sind bei meiner dritten Gastfamilie eingeladen: Drei verschiedene Kuchen stehen auf dem Tisch, die eine besondere Bedeutung haben. "La Galette des rois" ist eine französische Tradition, die man zwischen Neujahr und dem sechsten Januar, dem Fest der heiligen drei Könige, mit der Familie und Freunden begeht. In jedem Kuchen versteckt sich eine kleine Figur. Derjenige, der sie in seinem Kuchenstück findet, ist der "roi", also der König. Ihm wird natürlich eine Krone aufgesetzt. An diesem Abend findet meine dritte Gastschwester die kleine Figur in ihrem Stück. Ich habe leider kein Glück.

Es war schon lange klar, aber dann ist schließlich der Tag da, an dem ich die Gastfamilie wechsele. Jeder Austauschschüler hat drei bis vier Familien während seines Jahres. Die ganze vergangene Woche habe ich die Koffer gepackt, bis am Samstag das Zimmer vollkommen leer war und ich "Au revoir" sagen musste. Meine Familie hat sich immer sehr lieb um mich gekümmert und mir viel von Frankreich gezeigt. Ein bisschen erinnert mich das Umziehen an den Anfang meines Austauschs: Aufgeregt, traurig, glücklich.

Zwei Wochen später halte ich in meinem Rotary Club meine Präsentation über Deutschland. Im Laufe des Jahres soll jeder einen Vortrag über sein Land halten und so über seine Heimat informieren. Das Treffen findet in einem Restaurant statt: Der Saal ist festlich geschmückt und viele Leute sind bereits da. "La jeune fille de l´Allemagne" - mittlerweile kennen mich alle und ich werde freundlich begrüßt. Schließlich bin ich an der Reihe: Allemagne - une présentation sur mon pays. Am Anfang gibt es allgemeine Informationen über Deutschland. Als ich über die Politik des Landes rede und den Namen Angela Merkel erwähne, geht ein Raunen durch die Menge. "Angöla Merkell", so ungefähr sagen die Franzosen zu ihr. Sie ist überall bekannt, und spätestens, als sie im September vergangenen Jahres beschloss die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, sind die Meinungen über die Bundeskanzlerin sehr verschieden. Meine Heimat Bayern kennen natürlich alle und verbinden damit auch viele Klischees. Der FC Bayern München und vor allem das Oktoberfest sind die zwei Dinge, die am meisten für München stehen: "Die Bayern, die trinken den ganzen Tag Unmengen von Bier. Das sieht man ja schon an den riesigen Maßkrügen." Ich zeige Fotos von Freising, der Domberg gefällt den Rotariern sehr. Dann erkläre ich die Legende vom heiligen Korbinian und dass deshalb heute in der Innenstadt überall Bärenstatuen zu finden sind. Von München gibt es auch eine Reihe an Fotos: Als erstes zeige ich den Marienplatz mit dem Rathaus, im Hintergrund die Frauenkirche. Dann erscheint das Siegestor auf der Leinwand: "Das sieht wie der Arc de Triomphe in Paris aus", bemerkt eine Frau. BMW Welt: "Klar, kennen wir BMW. Deutsche Qualität!". Schloss Nymphenburg von außen, von innen und eine Luftaufnahme - die Reaktion der Zuhörer: "Das Schloss erinnert an Versailles. C´est un petit Versailles." Odeonsplatz, Isartor, Ludwig-Maximilians-Universität, Weihnachtsmarkt an der Münchner Freiheit . . . Dann ist der Englische Garten dran: Ich zeige Fotos von den Jugendlichen, die im Eisbach surfen, und den Biergarten am Chinesischen Turm. Jetzt muss natürlich die bayerische Tradition der Biergärten erklärt werden.

Wieder zu Hause sagen mir meine Gasteltern, wie gut meine Präsentation war. Und beide sind sich einig: "Es ist echt komisch, wenn wir mit dir reden. Wir wissen, dass du Ausländerin bist. Aber du sprichst Französisch wie eine Französin."

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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