Ein kleiner Boom in Freising:Wie auf der Jagd

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Auf echte Tiere würden sie nie schießen - Nicole Kobelt und Michael Dieterle zielen auf dem Jahn-Trainungsgelände auf Attrappen aus Schaumstoff. (Foto: Marco Einfeldt)

Sie streifen mit Pfeil und Bogen durch bergiges Gelände und schießen zwischen Bäumen hindurch oder über Flüsse hinweg auf Tiere - allerdings welche aus Schaumstoff. 3D-Bogenschießen ist ein naturnaher Sport. Beim TSV Jahn erfreut sich dieser immer größerer Beliebtheit

Von Laura Dahmer, Freising

Michael Dieterle legt den Pfeil ein, stellt sich seitlich auf, spannt den Bogen seines altertümlich wirkenden Langbogens und nimmt sein Ziel kurz ins Visier. Die Entfernung schätzt er ab, korrigiert etwas nach oben und lässt dann, den Pfeil millimeterweit von seinem Kopf entfernt, los. In einem kleinen Bogen zischt dieser durch die Luft und findet sein Ziel, wenn auch nur knapp. Er schlägt im unteren Bauch des Rehs ein. Das Tier bewegt sich nicht, es ist aus Schaum. Dieterle ist 3D-Bogenschütze beim TSV Jahn Freising.

Der 56-Jährige setzt seinen Bogen ab und erklärt: "Vieles beim Bogenschießen ist Übung: Das Zielen, die Entfernung einzuschätzen, die richtige Schusstechnik. Bei uns bekommt man erst mal theoretischen Technikunterricht, dann erst kommt das Training an den Zielen." Das 3D-Bogenschießen orientiert sich dabei sehr nah an seinem Ursprung, der Jagd: Anders als beim Scheibenschießen sind die Ziele hier, wie der Name schon verrät, dreidimensional und meist in Form von Schweinen, Rehen oder Enten. Bei Turnieren werden diese entlang eines Parcours im Wald aufgestellt und müssen der Reihenfolge nach geschossen werden. Fast wie auf der Jagd. Die Ziele müssen dabei teils im bergigen Gelände getroffen werden, von Klippen, zwischen zwei Bäumen hindurch oder über Flüsse hinweg. Es ist die Abwechslung des Sports, die Dieterle und viele andere begeistert.

Der Bogenschütze will aber auch betonen: Obwohl es wie ein Training für den "Ernstfall" scheint, gebe es keinen Zusammenhang zwischen 3D-Bogenschießen und der in Deutschland ohnehin verbotenen Jagd mit Pfeil und Bogen. "Keiner von uns würde jemals auf ein Tier schießen", sagt der Sportwart. Dem TSV Jahn geht es um Spaß, Bewegung in der Natur und um das Gemeinschaftsgefühl, wenn man in der Gruppe unterwegs ist. "Trotzdem ist es natürlich ein Feeling wie auf der Jagd. Das ist eine Art Urtrieb des Menschen", sagt Dieterle. Das 3D-Bogenschießen auf den Trainingsgeländen und Parcours geht mit strengen Sicherheitsregeln einher. Die Gelände sind nicht frei zugänglich, die Routen genau geplant, damit sich keine Wege kreuzen - und sobald jemand in der Nähe der Schusslinie ist, wird abgebrochen. "Verletzt hat sich bei uns noch nie jemand - weder Tier noch Mensch", sagt Dieterle.

3D-Bogenschießen erfreut sich, auch beim TSV Jahn, wachsender Popularität. "Als ich hier angefangen habe, Mitte der Neunziger Jahre, waren wir ziemlich klein. Lange war ich sogar der Einzige, der hier 3D geschossen hat. In den letzten fünf bis sechs Jahren erfahren wir einen regelrechten Boom", so Dieterle. Zehn feste Mitglieder seien es, die nur 3D schießen, viele andere der knapp 180 Mitglieder sind immer mal wieder dabei. Nicole Kobelt kam während dieser Boom-Zeit zum Bogenschießen: Vor etwa fünf Jahren hat sie einen Anfängerkurs gemacht. Oder, genauer: Bei Michael Dieterle. "Danach wollte ich unbedingt Holzbogen schießen, wie er", sagt die Jugendwartin des Vereins. Die 26-Jährige arbeitet in Schichtarbeit und war auf der Suche nach einem flexiblen Sport, den sie trotzdem nicht alleine machen muss. Im September ist sie Fünfte bei der Deutschen Meisterschaft geworden. Bei Dieterle selbst hat die Begeisterung für den Bogen schon früh angefangen: "Als Junge bin ich irgendwann auf diese Robin-Hood-Schiene gekommen und fand Bogenschießen total toll. Das ist dann aber versandet - bis mein eigener Sohn auf dem Trip war. Da habe ich ihm Pfeil und Bogen geschnitzt und mit ihm einen Anfängerkurs gemacht." Seine heute erwachsenen Söhne haben als Kinder einen Preis nach dem anderen geschossen, erzählt Dieterle stolz. 2002 kam er selbst zum TSV Jahn, seit zehn Jahren ist er Sportwart der Bogenschützen.

Auf Außenstehende, sagt Dieterle, mag 3D-Bogenschießen wie eine Randsportart wirken. Er und Kobelt aber sind sich sicher: Langsam überholt es das Scheibenschießen. "Es ist nur eben nicht so medienwirksam", sagt Dieterle. Seine Beliebtheit hat das 3D-Bogenschießen auch der Tatsache zu verdanken, dass es sich gut als Familiensport eignet. "Letztens habe ich bei einem Turnier einen Vater mit zwei Kindern getroffen. Die eine war fünf oder sechs, der Bogen fast so groß wie sie", erzählt Kobelt lachend. Der Jüngste beim TSV Jahn: Ben Odinov, Deutscher Vizemeister und elf Jahre alt.

Generell finden sich beim 3D-Bogenschießen jeder Typ Mensch, von Robin-Hood-Liebhabern bis hin zum modernen Schützen in Camouflage und Kampflook. Das liegt unter anderem an der Vielseitigkeit der verschiedenen Bogendisziplinen. Auch Kobelt, obwohl sie wie Dieterle mit dem Holzbogen angefangen hat, macht heute eine ganz andere Form des Bogenschießens. Sie hat einen in Neonfarben leuchtenden Hightech-Recurvebogen aus Kunststoff und Metall. Er hat ein Visier, eine Einstellung für die Entfernung und schießt schneller und gerader als ein Holzbogen. Mit mehr als 200 Stundenkilometern kann ein Pfeil aus diesem Bogen durch die Luft fliegen. "Der Langbogen ist viel schwieriger zum Schießen", sagt Dieterle. "Man muss sich aber auch vorstellen, dass mit ihm schon vor über 4000 Jahren gejagt wurde."

© SZ vom 24.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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