Diskussion über Chancengerechtigkeit:"Kita-Pflicht für alle"

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Die Freisinger Jusos überlegen, wie die klaffende Schere zwischen Arm und Reich geschlossen werden könnte

Von Sophie Vondung, Freising

"Reiche Eltern für alle!" fordern die Freisinger Jusos provokativ auf Plakaten in der Freisinger Innenstadt. Andreas Mehltretter, Vorsitzender der SPD-Nachwuchsorganisation, erläuterte nun während einer Diskussionsrunde, worum es den Jusos gehe: Es sei ungerecht, dass sich das Vermögen der Eltern durch Erbschaft automatisch auf die Kinder übertrage, ohne dass die etwas dafür tun müssten. Gleichzeitig stamme immer noch ein Großteil der Studierenden von Akademiker-Eltern ab, kritisierte Mehltretter.

Über das Thema Chancengerechtigkeit haben die Jusos im Etcetera mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Ewald Schurer diskutiert - und im Saal ging es im doppelten Sinne heiß her. Zum Start der Veranstaltung herrschte noch fröhliche Wirtshausstimmung: Um die 30 Besucher waren gekommen, überwiegend Jugendliche, aber auch einige Erwachsene. Sammelbestellungen für Erfrischungen wurden aufgegeben, zwei Mitglieder der SPD-Jugendorganisation hängten noch schnell ihre rote Flagge auf.

Freisings Juso-Vorsitzender Mehltretter nahm schließlich zusammen mit Schurer auf Barhockern vorne im Saal Platz und kündigte stolz seinen "Stargast Ewald" an, woraufhin dieser allerdings bescheiden abwinkte.

Reichtum und Armut würden über alles im Leben entscheiden, so die These von Schurer. Die Frage sei, was über Armut und Reichtum entscheide. Schurers Antworten: das Einkommen, der Geldtransfer der reichen Eltern an die Kinder und das Steuersystem. Weil die Reichen ihr Geld auch noch gut anlegen könnten, werde die Schere zwischen Arm und Reich immer größer. Schurer forderte deshalb eine Sozialstaatsreform, die Deutschland dringend nötig hätte. Deutschland sei ein "einigermaßen funktionierender" Sozialstaat, sagte Mehltretter dazu: "Aber es gibt noch Verbesserungspotenzial."

Das Thema Erbschaftssteuer, von Schurer in einem längeren Exkurs über die verschiedenen Arten von Steuern beleuchtet, kam bei den jungen Zuhörern nicht ganz so gut an, die ersten Besucher begannen, leise zu ratschen und über ihre Handys zu wischen. Der Stellvertretende Freisinger Juso-Vorsitzende Victor Weizenegger fragte, ob tatsächlich Betriebe mit einem Vermögen von unter 60 Millionen Euro bei der Erbschaftssteuerreform gar nicht angetastet würden: "Ist das überhaupt eine echte Reform oder Leut-Verarsche?" Schurer hielt dem entgegen, wie überaus wichtig mittelständische Unternehmen für den Arbeitsmarkt seien.

Zum ursprünglichen Thema der frühkindlichen Bildung betonte der Abgeordnete die Bedeutung von emotionaler und sozialer Bildung für die Entwicklung eines Kindes. Mehltretter machte daraufhin den Vorschlag, eine Kita-Pflicht für alle einzuführen: "Schulpflicht gibt es ja auch", sagte er. Zwei weitere Jusos zeigten sich begeistert vom Vorschlag "Kita-Pflicht für alle", ein junger Mann bemerkte, er habe schon einmal das Positionspapier dazu vorbereitet.

Er wisse von einer Pädagogin, wie wichtig gute Kinderhäuser seien, denn im Leistungsdruck des Schulsystems merke man sofort, welche Kinder in einer guten Tagesstätte gefördert worden seien, berichtete Schurer weiter. Erziehung sei eine Interaktion zwischen Elternhaus und öffentlicher Einrichtung. Eine Kita-Pflicht halte er jedoch nicht für durchsetzbar. Als gute Idee wurden die neuen 24-Stunden-Kitas empfunden, die sich den mobilen Arbeitszeiten und dem Schichtdienst anpassen. " Kinder sollten nicht um den Arbeitstag der Eltern rumgebastelt" werden, sondern die Arbeitswelt müsse sich dem Kindeswohl unterordnen", bekräftigte eine junge Diskussionsteilnehmerin.

Einigkeit herrschte, was das Thema Integration von Flüchtlingskindern wie auch von behinderten Kindern angeht. Hier müssten die Schulen mehr Integrationsarbeit leisten, hieß es - und Schurer wünschte sich gar "ein ganz neues Schulsystem!" Das gehe natürlich nicht von heute auf morgen, fügt er hinzu.

Auch die Gerechtigkeit zwischen den Generationen wurde gegen Ende des Abends noch angesprochen. "Deutschlands Schuldenberg wird auf zukünftige Generationen abgewälzt", beschwerte sich ein junger Mann. Schurer beruhigte ihn: Die Finanzkraft sei so gut wie seit 30 Jahren nicht, Deutschland könne seine Schulden locker begleichen. Er erklärte, was etwa die Stadt Freising heute in die Infrastruktur stecke, sei eine Wertschöpfung für folgende Generationen, es handele sich hierbei also um "rentable Schulden". "Ich will aber auch nicht sinnlos Geld ausgeben, am liebsten mache ich es für Bildung", sagte Schurer.

© SZ vom 23.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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