Der Ministerpräsident   in Attaching:Viele schöne Worte

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Seehofer gibt sich bei seinem Besuch in Attaching verständnisvoll. Aber das Misstrauen der Startbahngegner ist groß, Sonntagsreden kennen sie zur Genüge

Ein Dritschler ist im Bairischen ein Mensch, der etwas langsam und behäbig ist. Wenn andere Leute auf ihn warten, dann stört ihn das nicht besonders. Sollen sie sich doch ruhig die Füße in den Bauch stehen, so wie die Startbahngegner, die sich schon seit zwei Stunden zwischen Tennisplatz und Wirtschaftsgebäude des BC Attaching sowie auf dem benachbarten Parkplatz drängen. "Wo bleibt er denn, der Dritschler?", ruft deshalb ein ungeduldiger Startbahngegner um 13.37 Uhr in die Runde. Gemeint ist der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Der ist seit einigen Minuten überfällig. Typisch Politiker halt. Die sind immer unpünktlich, behauptet ein Startbahngegner. Kaum sind die Worte verhallt, fahren auf dem Parkplatz Polizeiautos und die Staatskarosse von Seehofer vor.

Der Ministerpräsident gilt aber als entschuldigt. Zuerst hat er sich bei Schwaig unter die Einflugschneise gestellt, um mitzuerleben, wie das ist, wenn 80 Meter über einem die Jets hinwegdonnern. Dann schaute Seehofer bei den Anwesen der Attachinger Ludwig Grüll und Franz Spitzenberger vorbei. Dieser sagte zum Ministerpräsident, er fände es "bitter", wenn die Ortschaft auseinandergerissen würde. Auch andere Anwohner fürchten die Zerstörung der Dorfgemeinschaft. Horst Seehofer nahm sich Zeit, hörte aufmerksam zu und ließ sich Karten und Grafiken von den Bauvorhaben und Lärmbelastungszonen erklären. Er finde es erstaunlich, sagt Seehofer verwundert, dass er immer zu hören bekomme, von der dritten Startbahn wären nur so wenige Menschen betroffen.

Derweil sich der Ministerpräsident so belehren lässt, vertreiben sich die Leute vor dem Sportheim die Zeit. Einige unterhalten sich über die Flüchtlinge, die derzeit über die deutsche Grenze drängen. Eine Frau zweifelt dabei das Gebilde der Europäischen Union als solches an. Erna Bauer, eine Frau, die früher in der Ortschaft Eittingermoos gewohnt hat und wegen des Flughafenlärms mit ihrem Mann in einen Ort nahe Zolling gezogen ist, bekundet, dass es ihr vor den angekündigten Böllerschüssen graut. Der Krach war ihr schon immer zuwider.

Die Gespräche verstummen jäh, als zur Begrüßung des Ministerpräsidenten die Bayernhymne einsetzt. An diesem nebligen Nachmittag in Attaching nimmt sie fast einen sakralen Charakter an. Seehofer zieht an der Seite von Aufgemuckt-Sprecher Helmut Binner auf dem Sportgelände ein. Es wirkt wie eine Prozession, wie der Tross so dahin schreitet. Zehn Salutschüsse krachen. Erna Bauer atmet erleichtert auf. Die Schützen feuern wohl vom Parkplatz aus. Der Lärm klingt ebenso gedämpft im Nebel, wie das Dröhnen der wenigen startenden Flugzeuge auf dem benachbarten Flughafen.

Landrat Josef Hauner sagt, Seehofer verrichte mit seinem Dialog zwischen Startbahngegnern und -befürwortern eine "Herkulesaufgabe". Wie zur Bestätigung unterbricht ein letzter donnernder Böllerschuss die Rede des Landrats. Seehofer selbst gibt den ehrlichen Makler. Die anfängliche, emotionale Distanz zu den Startbahngegnern schmilzt im Lauf seiner Rede dahin. Erst gibt es vereinzelten Applaus, unter den sich später immer häufiger Bravo-Rufe mischen. Als Seehofer sagt, dass er derzeit anhand der Zahl der Flugbewegungen keinen Bedarf für eine dritte Bahn sehe, erklingt freudiges Gejohle.

Doch die Euphorie der Zuhörer ist bald wieder verflogen. Sie weicht einer gewissen Nüchternheit. Schließlich gibt es da immer noch das Gefühl, dass Politiker schöne Reden halten und hinterher doch anders entscheiden. Auch wenn Seehofer versichert, bei ihm zählten nur Argumente und keine Einflüsterungen von Lobbyisten. "Starke Worte", habe der Ministerpräsident gefunden, findet Freisings CSU-Vorsitzender Peter Geiger. Bei Erna und Josef Bauer bleiben Zweifel. Sie glauben erst, dass die dritte Startbahn beerdigt ist, wenn Seehofer seine Unterschrift unter die Verzichtserklärung gesetzt habe. "Ich bin froh, dass Seehofer gekommen ist und sich vor Ort, und nicht nur vom Schreibtisch aus, alles anschaut.

"Ich bin mir trotzdem nicht sicher, ob er die Argumente wirklich abwägt, aber ich hoffe es", schildert Anita Deuter ihre Eindrücke. "Man muss meiner Meinung nach nicht klatschen, wenn jemand einfach nur sein Versprechen einhält", sagt Maximilian Weinberger. "Das sollte selbstverständlich sein. Ich nehme Seehofer nicht ab, dass er sich nicht von den Lobbyisten beeinflussen lässt. In seiner Vita hat er mehrmals bewiesen, dass man ihm erst glauben sollte, wenn er unterschrieben hat." Andreas Printz hat während der ganzen Veranstaltung fleißig Fotos gemacht und ab und zu laut applaudiert. Sein Fazit: "Da hat man uns wieder gut Sand in die Augen gestreut." Dennoch sei er positiv überrascht, dass der Ministerpräsident offen die Notwendigkeit der dritten Startbahn in Frage stellt. Aber es sei ja in der bayerischen Politik schon häufiger zu einer "wundersamen Kehrtwende" gekommen, meinte Printz.

© SZ vom 30.10.2015 / beb, djww, scpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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