Das große Aufräumen in Freising:"Uns hat es schlimm erwischt"

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Waschmaschinen und Heizungsanlagen sind defekt, Strom gibt es noch immer nicht. Die Caritas beklagt den Ausfall ihrer Autos, die in der vollgelaufenen Tiefgarage standen - und die Versicherungen zahlen nichts

Von Regina Bluhme, Anna Staab und Thomas Radlmaier

Caritas-Leiterin Carolin Dümer greift selbst zum Besen, um zusammenzukehren, was das Wasser zerstört hat. Der Keller, in dem sich die gesamte Elektronik, die EDV und wichtige Unterlagen befanden, war fast bis oben vollgelaufen. (Foto: Marco Einfeldt)

Ein Lastwagen holt gerade den Müllcontainer ab, der hinter dem Wohnhaus steht und vor vom Wasser beschädigten Gegenständen überquirlt. Eine etwas ältere Frau schleppt einen Korb voller Schrott die Zufahrt zur Tiefgarage hinauf. Ihr folgt ein Mann, der die Seitenwand eines Schranks zum restlichen nassen Sperrmüll auf die Straße bringt. Er trägt eine Gummilatzhose und Gummistiefel. Unten in der Garage stehen kaputte Waschmaschinen. "Die ganzen Stromleitungen sowie die komplette Heizung funktionieren nicht mehr", sagt der Anwohner in der Bahnhofstraße, "können Sie sich vorstellen, wie viel das kostet?" Außen an der Zufahrt hängt ein Schild, auf dem "1,85" steht. Es signalisiert die Höhe der Tiefgarage. "Das Wasser stand an der Decke an", erzählt die Frau aufgelöst.

Wie viele andere haben die beiden Freisinger keine sogenannte "Elementar-Versicherung" und müssen für den kompletten Schaden selbst aufkommen. Zwei andere Bewohner des Hauses an der Bahnhofstraße beklagen ihre Autos, die in der Tiefgarage komplett unter Wasser standen. Das Haus hat aufgrund der kaputten Leitungen noch keinen Strom. "Hier ist nachts alles dunkel", sagt die Frau, "ich bin total durch den Wind".

Die Freisinger Caritas befindet sich in direkter Nachbarschaft zu diesem Wohnhaus. Die Stimme von Carolin Dümer, die Leiterin der Hilfsorganisation, kämpft gegen den Lärm des brummenden Stromaggregats an. "Uns hat es sehr schlimm erwischt", brüllt sie und führt in den Keller, das Epizentrum der Verwüstung. Der Keller sei komplett gefüllt gewesen. Überall teert vom Wasser aufgeweichter Müll den Kellerboden der Caritas. "Der Keller ist sozusagen unser Herzstück", beschreibt Dümer, "hier befindet sich die ganze Elektronik und EDV". Auch die Garage der Caritas liegt sehr tief und war überschwemmt. Dümer vermutet daher, dass alle Autos nicht mehr fahrtüchtig sind. Vorsichtshalber habe man jedoch noch nicht versucht, die Autos zu starten. "Das wird in solchen Fällen ja empfohlen", weiß sie. Wie die meisten Betroffenen kann die Caritas-Leiterin den Schaden noch nicht abschätzen. "Wir müssen erst einmal überprüfen, was noch funktioniert und was nicht", sagt sie. Grob über den Daumen gepeilt gehe sie von mehreren Tausend Euro Schaden aus. Ob das jetzt aber 1000 Euro oder ein Nuller mehr sein wird, sei noch vollkommen offen. Kein Zweifel besteht daran, dass die Caritas kein Geld von der Versicherung erhalten wird. Das Haus sei zwar versichert, "aber nicht gegen elementare Schäden". Außerdem wäre das Wasser aus den Abflüssen gekommen. "Und dann zahlt erst recht keine Versicherung", meint sie, "das hört man ja zurzeit überall".

Auch bei der Lebenshilfe in der Gartenstraße sah es an den Vortagen noch wüst aus. Am Montag war die Zufahrt zu einigen Einrichtungen komplett überflutet. Von den Wassermassen bedroht war vor allem der Kindergarten Veitshof an der Moosach. Am Dienstag blieb die Einrichtung deshalb geschlossen. Inzwischen spielen die Kinder schon wieder auf dem Gelände, doch die weiß-roten Absperrbanden am Rande des Grundstücks künden noch von den Schäden, die das Wasser verursacht hat: 20 Zentimeter hätten noch gefehlt, dann wäre die Moosach ganz über das Ufer getreten, sagt eine Erzieherin. Diese Katastrophe blieb zwar aus, dennoch stürzten zwei Bäume auf das Grundstück, der öffentliche Kinderspielplatz wird deshalb in den nächsten Tagen geschlossen bleiben. Teilweise rutschte außerdem Erde ab, in Ufernähe steht ein Kletterhäuschen unter Wasser. Für den Kindergarten sei die Situation aber vor allem deshalb schwierig, weil ein Raum nicht nutzbar sei: "Durch den Brandanschlag Mitte Mai sind wir sowieso schon mehr Gruppen. Das macht sich jetzt erst recht bemerkbar", so die Erzieherin.

Für die Lebenshilfe seien die Schäden insgesamt dennoch geringer als zunächst vermutet, sagt Martin Weindl, Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Unterricht und Betreuung seien zwar ausgefallen, das sei aber vor allem aus Vorsicht und aufgrund der Sperrung der Gartenstraße geschehen. Als am Vortag die Wiesen vor seinem Fenster geflutet wurden, habe er das zwar schon skeptisch beobachtet. "Inzwischen finde ich den See vor der Haustür aber ganz nett. Jetzt könnte man sich mal überlegen, ob man aus dem Restaurant Viva Vita nicht ein Ausflugslokal mit Strand macht", scherzt er.

Einigen Anwohner ein paar Meter weiter ist allerdings nicht zum Scherzen zu Mute. "Es schaut aus wie nach einem Bombenangriff", sagt Wolfgang Rauscher und zeigt auf seinen Hinterhof. Dort stapeln sich Regale, Eimer, Schrankwände, unzählige Kartons. Es kostet ganz schön Kraft, die völlig durchnässten Teile aus dem Keller heraufzuschleppen. "Das Wasser stand mir bis zur Brust", berichtet der hochgewachsene Freisinger. "Der Garten war ein einziger See. Bei mir sind Enten vorbeigeschwommen". Besonders schlimm: Erst im Herbst vergangenen Jahres hat er eine neue Gasheizung eingebaut, "die ist jetzt kaputt."

Gegenüber trocknet ein älteres Ehepaar Schuhe auf der Steinmauer. Die beiden haben ebenfalls eine neue Gasheizung und wissen noch nicht, ob sie weiterhin funktioniert. Der Mann hat gerade eine Plastikschachtel aus seinem überfluteten Keller geholt. Nägel schwimmen im Wasser. "Das kann ich wegschmeißen". Er hat schon mehrere Überschwemmungen erlebt, aber "an ein solches Hochwasser kann ich mich nicht erinnern", sagt der Freisinger, "vor allem, dass diesmal das Wasser von der Moosach so hereindrückt". Ein Lob wollen die beiden noch loswerden: "Die Männer vom THW waren sehr freundlich und sehr fleißig", sagen sie.

Bange Stunden hat Familie Ruffing hinter sich. Tochter Eva wohnt am Fürstendamm und war dort mit ihren zwei kleinen Kindern vom Wasser eingeschlossen, "wie auf einer Insel", berichtet sie. Barfuß ist sie durch das hüfthohe Wasser zu ihrem Elternhaus ums Eck an die Gartenstraße gewatet. Aber auch dort sah es nicht viel besser aus. Ein See vor dem Haus, der Keller unter Wasser. "Taucher der Wasserwacht mussten das Gas abdrehen", berichtet Vater Wilhelm Ruffing. Damit es die Enkel warm haben, hat er schnell Holz für den Kachelofen gekauft, denn die gelagerten Scheite waren durchnässt. Verzweifelt hat er noch einen zusätzlichen Schlauch zum Abpumpen gesucht, "aber in Freising waren Schläuche und Pumpen komplett ausverkauft". In München hat er dann noch einen erwischt. Jetzt will Wilhelm Ruffing ein wenig abwarten "und dann kaufe ich auf jeden Fall eine stärkere Pumpe".

© SZ vom 06.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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