Das alte Freising:Trinkfreudige Bauern und der Zehner-Club

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Der Karlwirt war einst eine beliebte Anlaufstelle für Viehhändler, Arbeiter und Freisinger, die sich dort zu den hochgeschätzten Weißwürsten eine frische Halbe Bier gönnten. (Foto: Marco Einfeldt)

Mit seinem neuen Buch "Ja da schau her - Freisinger Geschichten rund um den Karlwirt" setzt Peter Thomas der Traditionsgaststätte ein literarisches Denkmal. Seit 2011 ist die Wirtschaft, in der einst das Leben brodelte, geschlossen

Von Peter Becker, Freising

Einst brodelte in der Freisinger Gastwirtschaft Karlwirt das Leben. Sie war Anlaufstelle für Viehhändler, Arbeiter und Freisinger, die sich zu den hochgeschätzten Weißwürsten eine frische Halbe Bier gönnten. Der Name der Wirtschaft geht auf das Jahr 1780 zurück, als der Eigentümer des Zipflerwirts am Veitstor seinem obersten Hausknecht die Gaststätte übergab, die sich fortan Karlwirt nannte. Seit dem Jahr 2011 ist sie aus familiären Gründen geschlossen. Dem Karlwirt hat Peter Thomas mit seinem neuen Buch "Ja da schau her - Freisinger Geschichten rund um den Karlwirt" nun ein literarisches Denkmal gesetzt. Die darin geschilderten Geschehnisse spielen sich in den Jahren zwischen 1955 und 2017 ab. Wie ein roter Faden durchzog das kirchliche und klerikale Erleben sein aufmerksames Dasein in seiner Heimatstadt. Daraus sind so einige humoristische und moralische Anekdoten im Buch enthalten.

Die Schilderungen von Peter Thomas setzen mit seinen Kindheitsjahren ein. Die ersten Erinnerungen an den Karlwirt "sind lebensfroher Natur", bekennt er. Sie reichen zurück in die Zeit, als er in die Wirtshausküche kam, um eine würzige Knöcherlsulz für die Familie zu kaufen. Damals gab es noch den Vieh- und Saumarkt am Kriegerdenkmal. So mancher wackere Bauer vertrank dort das Geld, das er zuvor verdient hatte. In seinem Rausch legte er sich einfach auf sein Fuhrwerk, gab seinem Pferd einen Klaps und hoffte, dass es den Heimweg von alleine fand. Den Viehhandel gibt es nicht mehr. Mit den ausbleibenden Bauern sind den Wirten die Gäste abhanden gekommen. Darin sieht Thomas einen Grund, warum viele Gastronomen in der Innenstadt aus wirtschaftlichen Gründen das Handtuch werfen mussten.

Peter Thomas schildert die Umgebung des Karlwirts als eigenen Freisinger Vorort. Dazu zählt er den Johannisplatz, die Vöttinger- und Wippenhauser Straße sowie den Zugang zur Oberen Hauptstraße. Beliebte Treffpunkte waren neben dem Karlwirt der Furtnerbräukeller, Hacklbräukeller, Schneider Weiße und Spatenschänke. Die mögen vielen Freisingern noch geläufig sein. Doch an das Zwitscherstüberl und das Gasthaus Wolf werden sich wohl nur alteingesessene Freisinger erinnern können. Federl, der Wirt des Zwitscherstüberls, galt als Original. Mit den Worten "Willst Du einen zwitschern Büberl, komm zu mir ins Zwitscherstüberl", lockte er die Leute in seine Kneipe.

Das Verdienst von Peter Thomas besteht darin, dass er in seinem neuen Buch Szenarien und Lokalitäten beschreibt, die heute längst vergessen sind, angereichert durch Anekdoten aus seinem Leben. Vor dem geistigen Auge des Lesers mag da ein Bild von Freising entstehen, wie es sich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren bot. So lockte auf dem Weg nach Vötting im Winter der Schlittenberg der Familie Ullmann. Dort befindet sich heute das Fahrradgeschäft Ruhland. Peter Thomas erinnert an die Limonadenfabrik Widmann am Goldberg. Das modische Aussehen der Besitzerin und der Anblick ihres knallroten Mercedes-Cabrios ließen Männerherzen höher schlagen. "Einzigartig im katholischen Freising. Fast schon unmoralisch!" muss das laut Peter Thomas in der sittlichen Stadt gewirkt haben. Längst vergessen sind der Metzger Felber, der Bäcker- und Konditormeister Zischka, der Gemüseladen Binder, dessen Riesenangebot an Weintrauben Peter Thomas bis heute im Gedächtnis geblieben ist. Wen es noch gibt, ist die Drogerie Nierle. Der Wahlspruch von Hanns Nierle lautete: "Geht nicht, gibt's nicht."

Peter Tomas erinnert an das Kaufhaus Konsum am Roiderjacklbrunnen. Dort habe er einen Nikolaus aus Ton geschenkt bekommen, hergestellt in der damaligen DDR. Die Freude an ihm währte kurz. Er fiel Peter Thomas aus der Hand und zerbrach. Der Autor erinnert daran, dass 1969 schon einmal die Schließung eines Gasthauses Freising erschüttert hatte. Das Colosseum sperrte zu. "Das schmerzhafte Aus für den großen Stadtsaal, das Kino, die Gastronomie. Ohne Alternative im Innenstadtbereich", urteilt Peter Thomas. In das Gebäude zog erst die Kaufhalle, dann der Woolworth.

Die Auflösung der Gastronomie im Karlwirt seit 2011 komme dem Abriss einer Pfarrkirche gleich, urteilt Peter Thomas. So mag es auch dem "Zehner-Club" gehen, der sich seit 1970 täglich zum Stammtisch traf. Um zehn Uhr, daher rührt sein Name.

Parallel zu den Geschichten über den Karlwirt und längst vergessene Geschäfte berichtet Peter Thomas über den Gemütszustand der Bevölkerung in der Nachkriegszeit. Von traumatisierten Lehrern erzählt er. Eine Frage nach deren Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg reichte aus, um den ganzen Mathematikunterricht zu torpedieren. Misstrauisch wurden die amerikanischen Soldaten beäugt, die damals noch in Freising lebten. Frauen, die für die Besatzer arbeiteten, wurden despektierlich "Ami-Schicksn" genannt.

Peter Thomas erinnert in seinem Buch an Freisinger Persönlichkeiten, deren Namen heute nicht mehr vielen geläufig sind. Conny Freundorfer zum Beispiel, der von 1953 bis 1961 neun Mal hintereinander deutscher Meister im Tischtennis wurde. Als Linkshänder besiegte er locker seine amerikanischen Spielpartner. Bei seinem ersten Titelgewinn war er gerade einmal 16 Jahre alt. 1988 starb er bei einem Verkehrsunfall in München. Klaus Bichlmeier stammt aus einer Familie, die unweit des Karlwirts ein Busunternehmen führte. Er entwickelte ein Leichtflugzeug, mit dem er über Mexiko abstürzte. Aus dessen Überresten entwickelte er für die Firma ARRI einen Kamerakran, der überall beim Filmen einsetzbar ist. Bichlmeier zeigt heute historische Filme über Freising. Und da war da noch das Schlagersternchen Fleur Ahl, das es gar zu einem Auftritt in der ZDF-Drehscheibe brachte. Ihr Mutterglück beendete 1962 ihre Gesangskarriere.

Wer hätte das gedacht? Pater Leppich, berüchtigt als "Maschinengewehr Gottes", hat auch Freising besucht. Was Wunder, bei einer katholischen geprägten Stadt. Leppich spürte im aufkommenden Kapitalismus die Macht des Bösen, prangerte den Sittenverfall an. "Leppich, den ich einmal in Freising hörte, eher begeisternd gestikulierend als inhaltlich verständlich, erinnert mich an so manchen unseligen Auftritt der Rechtspopulisten in unserer Zeit", urteilt Peter Thomas.

© SZ vom 21.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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