Bundestagswahl im Kreis Freising:Klagen und Analysen

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Im Landratsamt herrscht Fassungslosigkeit, als feststeht, dass die Alternative für Deutschland auch im Kreis Freising der große Wahlsieger sein wird. AfD-Direktkandidat Johannes Huber beobachtet unterdessen in Nandlstadt die Auszählung der Briefwahl

Von Clara Lipkowski, Freising

Als es endlich soweit ist, tritt Stille ein. Mucksmäuschenstill ist es im Landratsamts um 18 Uhr an diesem Wahlsonntag. Die Wahlhelfer in Freising schließen gerade die Türen der Wahllokale, beginnen das große Auszählen, da flimmert im großen Saal schon die erste Prognose über den Großbildschirm. Vereinzeltes Aufstöhnen, teils treffen sich ungläubige Blicke: Neun Prozentpunkte Verlust für die CDU/CSU? Fünf für die SPD? Und dann hört man ein Raunen im Saal: Die erste Prognose zum Ergebnis der AfD steht fest. Es ist zweistellig, etwa 13 Prozent.

Nur die SPD ist an diesem Abend mit mehreren Parteigrößen und Vertretern der Jugendorganisation als Verstärkung gekommen. Eine Jusos-Fahne haben sie mitgebracht, die später ein trauriger Jugendlicher über der Schulter nach Hause tragen wird. Freisings Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher ist schon früh eingetroffen und mit sicheren Schritten Richtung Buffet marschiert, um sich mit Bier zu versorgen. Der ÖDP-Kandidat Reinhold Reck steht in einem kleinen Pulk und spricht mit seinen Parteikollegen. Nun, da die ersten Wahlergebnisse vorliegen, wird es wieder lauter im Saal, es wird geklagt, analysiert.

Gespanntes Warten auf die Auszählung im Landratsamt. (Foto: Marco Einfeldt)

SPD-Kreisvorsitzender Warlimont sagt kurz nach der Bekanntgabe: "Ich bin total traurig und ein stückweit sprachlos. Das hat die SPD nicht verdient." Seine Partei, findet er, sei die einzige gewesen, die einen inhaltlich betonten Wahlkampf gemacht habe. Über das Ergebnis der AfD zeigt er sich erschüttert. "Nachdem die AfD in den vergangenen Monaten immer wieder gezeigt hat, dass sie bestimmte Gruppen von Menschen hasst, ob Juden, Ausländer oder politisch Andersdenke und jetzt 13 Prozent bekommt, zeigt das, dass immerhin 13 Prozent der Menschen sich daran zumindest nicht stören."

Auch Robert Weller ist sichtlich schockiert über die Ergebnisse. Zunächst war an diesem Abend noch nicht klar, wie seine eigene Partei, die Freien Wähler, abgeschnitten hatten, sie fällt unter "Sonstige". Vor allem das Abschneiden der AfD habe ihn "schockiert", sagt er. Kurz davor hatte Alexander Gauland im Fernsehen über die Bundesregierung gesagt: "Sie kann sich warm anziehen. Wir werden sie jagen." "Wer so etwas sagt", meint Weller, "zeigt seine braune Gesinnung".

Konzentration bei der Auszählung. (Foto: Marco Einfeldt)

Nach und nach finden auch andere Parteienvertreter den Weg ins Landratsamt. Guido Hoyer (Linke), Erich Irlstorfer (CSU), Florian Herrmann (CSU) und der ein oder andere jugendliche Unterstützer der Linken kommen zum Gucken und Reden, bald sind die belegten Semmeln vom Buffet aufgegessen, das Bier ist nahezu ausgetrunken.

Zwar müssen SPD und CDU/CSU starke Verluste einstecken, im Saal ist und bleibt an diesem Abend vor allem das Ergebnis der AfD ein großes Thema. Offenbar ist aber niemand von der Partei im Saal anwesend, Johannes Huber, der Kandidat für den Bundestag, taucht gar nicht auf. Später wird er am Telefon sagen: "Ich war als Wahlbeobachter bei der Auszählung der Briefwahlstimmen in Nandlstadt dabei", deswegen habe er nicht nach Freising kommen können. Er habe sich davon überzeugt, dass alles schnell und reibungslos lief. Von dort, sagt er, sei er nun auf dem Weg zur Wahlkampfparty des Kreisverbands der AfD Freising-Pfaffenhofen. Der feierte nicht in Freising, sondern in Ingolstadt.

Ein Tweet darüber im Live-Blog der SZ weckt bei der SPD Freising unmittelbar Unmut. Teresa Degelmann schrieb auf Twitter: "Ingolstadt? Zeigt das, wie wichtig ihm die Region ist?"

Huber aber spricht am Telefon von "Verpflichtungen", die er nun in Ingolstadt habe, die Presse warte, aber natürlich auch die Parteikollegen, die mit dem Einzug in den Bundestag Grund zum Feiern haben. Zur CSU sagt er: "Sie hat bayernweit eine Klatsche bekommen. Denn die Bürger haben das doppelte Spiel der CSU durchschaut." Denn, so findet er: "Die CSU vertritt eins zu eins die Politik von Frau Merkel." Als Regionalpartei habe sie im Bund nichts zu sagen. Genau da habe die AfD gegriffen, als Alternative zur CSU. Seine Partei wolle nun "demokratischer Aufpasser" der Regierung werden. Und er, sollte er es tatsächlich in den Bundestag schaffen, werde "demokratischer Aufpasser" von Herrn Irlstorfer (CSU). Um 23.20 Uhr lässt Huber dann noch wissen, dass er es "ziemlich sicher" geschafft habe.

Eine klare Fehleinschätzung der SPD. (Foto: Marco Einfeldt)

Grund zum Feiern hätte Christian Magerl eigentlich auch, er ist Landtagsabgeordneter der Grünen und seine Partei konnte sich im Vergleich zu 2013 um 0,7 Prozentpunkte verbessern und lag zu Redaktionsschluss bei 9,1 Prozent. "Für die Grünen ist es ein guter Tag", sagt er, "weil wir entgegen der Prognosen zugelegt haben. Aber angesichts des Erfolgs der AfD ist es ein schlechter Tag für Deutschland." Mit Blick auf die künftige Koalitionsbildung im Bundestag sagt er, man müsse die entsprechenden Gespräche abwarten. Darüber, dass die SPD in die Opposition gehe, sei das letzte Wort noch nicht gesprochen. Für Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition zeigt er sich offen, schränkt aber ein: "Wir werden der Union nicht hinterherrennen."

Zu einer ersten Analyse der Wahl war Oberbürgermeister Eschenbacher bereit: Auf die Frage, ob das Land nach rechts rücke, sagt er: "Das glaube ich nicht." Zwar habe sich die AfD oft von rechtem Gedankengut distanziert, aber das habe sie nicht glaubhaft gemacht. Man könne da aber nicht die ganze Wählerschaft inkludieren, da er glaube, dass es viele Protestwähler gegeben habe, die sich "vielleicht nicht so mit den Themen auseinandergesetzt haben, wie man es vielleicht hätte müssen." Letzten Endes sei er aber gespannt, wie nachhaltig sich die Parteienlandschaft verändert. Für den Bund sehe er die Jamaika-Koalition als die derzeit wahrscheinlichste.

Und so wurde am Abend noch lange über mögliche Koalitionen diskutiert und debattiert und darüber, dass man das Ergebnis dieser denkwürdigen Wahl wohl sehr genau wird analysieren müssen.

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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