Brennpunkt Wippenhauser Straße:Zug um Zug ans Ziel

Lesezeit: 4 min

Besonders schwierig ist die Situation an der Wippenhauser Straße vor Unterrichtsbeginn und nach Unterrichtsende. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Agenda-Gruppe "Bauen, Wohnen, Verkehr" will die Situation rund um das Schulzentrum an der Wippenhauser Straße verbessern. Doch einen einfachen Weg gibt es angesichts der komplexen Situation nicht

Von Anna Dreher, Freising

Vor ein paar Tagen ist es ihm wieder passiert, obwohl Karl Auerswald darauf vorbereitet war. Eine Niederlage, im Schach gegen seine zwölfjährige Tochter. Er hat sich ziemlich geärgert. Nicht, weil er seiner Tochter den Erfolg nicht gönnen würde. "Aber ich habe verloren, weil ich ihre Position nicht bedacht habe, sondern nur meine", sagt er. "Genau darum geht es auch beim Planen und Verhandeln: Man muss alle Positionen bedenken, sonst wird das nichts", ergänzt er - und meint längst nicht mehr allein das Spiel.

Auerswald ist Sprecher der Freisinger Agenda-21-Gruppe "Bauen, Wohnen, Verkehr", die sich derzeit vor allem um eine Lösung für die schwierige Verkehrssituation in der Wippenhauser Straße bemüht. Den Fehler, den er beim Schach gemacht hat, will er bei seiner Arbeit für die Projektgruppe auf keinen Fall wiederholen. Alle Figuren wieder auf das Spielbrett stellen und von vorne beginnen, das geht hier schließlich nicht. Die Ausgangslage ist kompliziert, ein schneller, einfacher Weg nicht in Sicht. Die Taktik lautet daher: Zug um Zug ans Ziel. "Wir arbeiten an vielen kleinen Dingen, das ist oft Symptombehandlung", sagt Auerswald. "Aber nichts tun, geht auf keinen Fall."

Zu offensichtlich ist die problematische Verkehrssituation am zentralen Schulstandort in Freising. Jeden Schultag müssen hier Lehrer, Mitarbeiter der Verwaltung und über 3000 Schüler an das Camerloher-Gymnasium, das Berufsbildungszentrum DEULA sowie die Berufs-, Wirtschafts- und die Fachober- und Berufsoberschule. Es gibt zu wenig Parkplätze für Autos und zu wenig Stellplätze für Räder. Die Straße ist eng, die Gehwege zu schmal und der Verkehr nicht nur zu Stoßzeiten hoch.

Besonders schwierig ist die Situation vor Unterrichtsbeginn und nach Unterrichtsende: Busse, die nacheinander an den Haltestellen stoppen, um Schüler einsteigen zu lassen und den Verkehr ins Stocken bringen; Eltern, die am Gehweg anhalten, um ihre Kinder einzuladen und so Wege blockieren; Radfahrer, die versuchen am Verkehr vorbeizukommen und mittendrin noch Fußgänger, die halb auf dem Gehweg, halb auf der Straße laufen. "Ich kenne einige, die davon eingeschüchtert sind, Eltern und Schüler. Trotz nahem Wohnort bleibt das Rad dann stehen und es gibt noch mehr Verkehr durch Elterntaxis", sagt Auerswald. "Das ist ein sich selbst verstärkender Prozess, es ist schwer dem entgegen zu steuern."

Die offensichtliche Lösung, die Straße einfach breiter zu machen, ist keine - an die Wippenhauser Straße grenzen mehrere Wohnhäuser an. Die Problematik besteht schon seit Jahren, aus Sicht der Agenda-21-Gruppe ergibt sich jetzt jedoch eine neue Chance zur Beruhigung der Verkehrslage am Schulzentrum: Der Straßenbelag der Wippenhauser Straße soll erneuert werden, laut Tiefbauamt beginnen die Maßnahmen im April. "Man muss also eh Geld in die Hand nehmen und könnte strukturell etwas ändern", sagt Sepp Beck, ebenfalls Mitglied der Projektgruppe und als Lehrer am Camerloher-Gymnasium selbst von der Problematik betroffen.

Auch der geplante Neubau der Freisinger Berufsschule hätte zu einer Entlastung führen können - hätte. Denn: "Statt die Berufsschule bahnhofsnah und somit gut erreichbar zu bauen, wird sie wieder am Schulzentrum geplant. Wie soll sich so etwas ändern?", fragt Beck. Die Grundstücke in Bahnhofsnähe seien zu teuer, habe ihm das Landratsamt mitgeteilt. Zudem seien die Besitzverhältnisse dort kompliziert. Da die Grundstücke neben dem Camerloher-Gymnasium, wo derzeit noch Flüchtlinge in Wohncontainern untergebracht sind, ohnehin dem Landkreis gehören, sei dieser Standort dagegen naheliegend. "Das ist der einfachste Weg", sagt Beck. "Die Konsequenz ist das Chaos."

Den Neubau der Berufsschule als Türöffner für Veränderungen hat die Agenda-21-Gruppe trotz des getroffenen Kreistagsbeschlusses noch nicht abgehakt. "Eine kleine Chance sehe ich in der Bauverzögerung durch die Wohncontainer der Flüchtlinge neben dem Camerloher-Gymnasium", sagt Sepp Beck. "So lange die dort stehen, kann mit dem Bau der Berufsschule ja nicht begonnen werden." Er will einen neuen Versuch unternehmen, um die Verlagerung der Berufsschule und somit eines Teils des Verkehrs, doch noch zu erreichen.

Ingrid Link, stellvertretende Schulleiterin der Berufsschule, hofft auch ausgehend von der bestehenden Faktenlage auf eine Verbesserung durch den Neubau. "Da muss die Situation ganz klar bedacht werden. Manchmal wundert es mich, dass nicht mehr passiert. Das ist ja schon ein richtiges Nadelöhr", sagt Link. "Ich denke, die Wippenhauser Straße zu einer Einbahnstraße zu machen, könnte helfen."

Bis sich konkret etwas ändert bleibt die Frage: Was tun? Bei der Sitzung der Agenda-21-Gruppe am 14. Januar gab es noch nicht die eine, perfekte Lösung, immerhin aber weitere Vorschläge wie den Mittelstreifen zu entfernen, um das Gefühl der Enge zu vermeiden, eine reine Buslinienspur oder ausgewiesene Abholstellen für die Eltern. "Mehr Busse zu günstigeren Preisen wären auch ein Anfang", sagt Beck. Doch dazu bräuchte es zunächst mehr Beschwerden an die zuständigen Stellen. "Da kam in letzter Zeit nichts und das Problem mit dem Verkehrsaufkommen bliebe bei mehr Bussen ja bestehen", sagt Christian Wegscheider vom Straßenverkehrsamt. "Wünschenswert wäre eine Art Busbahnhof und ein größerer Wartebereich an den Haltestellen." Die Hochbauverwaltung sei informiert, diese Aspekte bei der Planung zu bedenken.

"Mehr Verkehrsüberwachung würde auch helfen, aber solche Vorschläge sind nicht gerade beliebt", sagt Beck. Für die Agenda-Gruppe käme außerdem noch eine ganztägige Dreißigerzone im Straßenabschnitt vor den Schulen in Betracht. Bisher ist dies nur vormittags so eingerichtet. Die Hoffnung: Wenn Auto- und Busfahrer konsequent eine niedrige Geschwindigkeit einhalten müssen, trauen sich wieder mehr Schüler mit dem Rad zum Unterricht zu kommen. Also: weniger Autos, weniger Verkehr, weniger Chaos.

"Die Verkehrssituation nervt ja jeden. Aber nur wenige haben die Energie und Zeit, sich zu engagieren", sagt Karl Auerswald. "Widerstand gegen unsere Arbeit merken wir eigentlich nicht direkt, wir werden eher ignoriert. Dabei betrifft die Problematik so viele." Wichtig bei der Lösungsfindung sei jetzt vor allem, die Erfahrung von vielen einzubeziehen und die verschiedenen Interessen und Positionen zu bedenken. Ganz so, wie beim Schach.

© SZ vom 19.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: