Ausstellung von Oktober an:Ein Bilderbogen der Stadt

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Die Schützenscheibe mit der Frau gab der Freisinger Museumsleiterin einige Rätsel auf. Restauriert werden die Scheiben unter anderem von Alfons Empl. (Foto: Lukas Barth)

Anlässlich seines 125-jährigen Bestehens stellt der Historische Verein Freising Schützenscheiben aus drei Jahrhunderten aus. Sie stehen repräsentativ für ihre Epoche in der sie entstanden sind. Bei manchen ist der historische Zusammenhang schwer zu finden.

Von Peter Becker, Freising

Der Schuss sitzt genau im linken Auge. Das Gesicht der jungen Dame wirkt ein wenig entstellt, aber Ulrike Götz, Leiterin des Freisinger Stadtmuseums, findet, dass die Einschusslöcher auf der Schützenscheibe mit ihrem zufällig entstandenen Muster dem Bildnis als solchem einen eigenwilligen Reiz verleihen. Die Dame sitzt lässig auf einer den Erdball symbolisierenden Kugel gestützt da. Die Füße ruhen auf einer Truhe. Im Hintergrund sind ein Meer und eine fiktive Stadt zu sehen. Die Schützenscheibe ist Bestandteil einer Ausstellung, die der Historische Verein Freising anlässlich seines 125-jährigen Bestehens von Oktober an zeigt. Sie stellt eine Allegorie auf das Kaufmannswesen dar. Doch es dauerte eine Weile, bis Ulrike Götz den historischen Zusammenhang auf dem Bildnis entschlüsselt hatte. Wie sie dem Geheimnis auf die Spur kam, schilderte die Leiterin des Stadtmuseums während eines Vortrags in der Jahreshauptversammlung des Historischen Vereins.

Den entscheidenden Hinweis liefert das Protokollbuch der Königlich-Privilegierten Schützengesellschaft Freising. Diese hatte die Schützenscheibe nebst 105 weiteren dem Stadtmuseum als dauerhafte Leihgabe überreicht. In dem Protokollbuch zum 22. April 1804 steht ein Vermerk, aus dem hervorgeht, dass es sich bei der Dame um die "Göttin der Kaufmannschaft" handele. Die Initialen M.O., verbunden durch ein kryptisches Symbol, deuten lauten Ulrike Götz auf den Stifter der Schützenscheibe hin. Dabei handelt es sich um den Freisinger Kaufmann Matthias Oberbucher, der einstmals im Markus-Haus wohnte. Das Dromedar, das auf der Scheibe zu sehen ist, sowie die Schiffe am Horizont deuten daraufhin, dass der Kaufmann exotische Waren wie Tabak bezog. "Die Freisinger Kaufmänner haben aber nicht direkt Überseehandel betrieben", stellte Ulrike Götz fest. Auf die Bedeutung des kryptischen Zeichens brachte die Leiterin des Stadtmuseums die Betrachtung anderer Bilder, auf denen Seehandel zu sehen waren. Auch auf diesen waren Warenstapel mit Symbolen versehen. Dabei handelt es sich um Handelsmarken, anhand derer zu erkennen war, wem welche Güter gehörten.

Als Maler hat Ulrike Götz den Freisinger Ignaz Frey den Älteren ausfindig gemacht. Auf einem Familienporträt ist er mit seinem Sohn Ignaz zu sehen. An einer Wand hängen Pistolen und Gewehre. Ulrike Götz geht davon aus, dass Ignaz Frey der Jüngere selbst an dem Schießen teilgenommen hat. Das Bild ist für die Leiterin des Stadtmuseums eine Beleg dafür, dass sich Veränderungen in der Kunst nicht schlagartig vollzogen haben, sondern fließend in eine neue Epoche übergegangen sind. Die Allegorie ist eine Stilform, die ihre Blüte im 18. Jahrhundert hatte, in der noch die Freisinger Fürstbischöfe regierten. 1804 war Freising bereits säkularisiert, der Aufstieg des Bürgertums drängte die geistlichen Herren auf dem Domberg immer mehr in den Hintergrund.

Die Schützenscheiben präsentieren einen "Bilderbogen der Stadt Freising", der über 300 Jahre umfasst - "mit Schlaglichtern unterschiedlicher Art", wie Ulrike Götz sagt. Die älteste stammt aus dem Jahr 1684. Sie wurde zum Geburtstag von Fürstbischof Albert Sigismund gestiftet. Ulrike Götz stellte exemplarisch eine Auswahl von Scheiben vor, die jeweils Einblick in die verschiedenen Epochen geben. Während der Zeit der Fürstbischöfe dominierten Motive, die mit diesen in Verbindung standen. Etwa eines aus dem Jahr 1722, auf dem der schreitende Freisinger Bär zu sehen ist.

Eine Scheibe aus dem Jahr 1821 zeigt ein für die Epoche des Klassizismus beispielhaftes Motiv: Auf dem Bild ist eine antike Landschaft mit einem Jüngling zu sehen. "Es handelt sich um eine Hochzeitsscheibe", erläuterte Ulrike Götz. Gestiftet habe sie der Branntweiner Leopold Geißler, also ein Wirt, der auf den Ausschank von Schnaps spezialisiert war. Das Revolutionsjahr 1848 findet ebenso seinen Niederschlag. Begeistert vom Gedanken eines vereinten Deutschlands fand in Freising im August ein Fest statt, bei dem auch eine Scheibe ausgeschossen wurde. Sie zeigt die Bavaria mit rot-gold-schwarzer Fahne.

Wer jetzt die neuen Herren waren, dokumentiert eine Scheibe aus dem Jahr 1933. Das martialische gestaltete Bild zeigt einen Adler, der sich auf einen toten Geier gestürzt hat. Obwohl unter dem Nationalsozialismus entstanden, hat die Scheibe doch einen religiösen Hintergrund: Sie entstand anlässlich eines Martini-Schießens. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwanden politische Motive. Ulrike Götz zeigte exemplarisch dafür das Porträt einer "Schützenliesel" aus dem Jahr 1972.

"Meist waren professionelle Maler am Werk", erläuterte Götz. Restauratoren waren seit dem vergangenen Sommer am Werk, um die Schützenscheiben von den Hinterlassenschaften des Tabakrauchs zu befreien oder beschädigte zu reparieren. Restaurator Alfons Empl habe ihr ein Wattestäbchen unter die Nase gehalten, mit dem er eine Scheibe säuberte. "Das hat richtig nach Nikotin gerochen", schilderte sie. Mit den Schützenscheiben beschäftigt sich auch der neue Sammelband des Historischen Vereins, der im Herbst erscheint.

© SZ vom 25.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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