Aus dem Stadtarchiv:Anfänge der Arbeiterbewegung

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Archivstück des Monats. (Foto: Stadtarchiv)

Im Freisinger Rathaus ist derzeit ein Maifeier-Plakat von 1900 zu sehen. Es ist der Auftakt zur Aktion "Archivstück des Monats"

Von Peter Becker, Freising

Ein Plakat zur Maifeier des Freisinger SPD-Ortsvereins vom 6. Mai 1900 ist das erste "Archivstück des Monats", welches das Stadtarchiv fortan jeweils einen Monat lang im Rathaus ausstellt. Die Behörde organisiert die kontinuierliche Überlieferung des Stadtgeschehens. Alles Wesentliche, was sich zu einer bestimmten Zeit in der Stadt ereignet hat, sollte sich in den Beständen des Archivs widerspiegeln. Archivierte Gegenstände will die Behörde nach und nach vorstellen und beschreiben, so dass die Freisinger eine Überblick erhalten, was sich so alles hinter den historischen Beständen verbirgt.

Bei vielen Menschen in der Gegenwart mag der 1. Mai als "Tag der Arbeit" vielleicht nur noch deshalb Emotionen auslösen, weil er ihnen möglicherweise einen Brückentag beschert, an dem sie einen Kurzurlaub verbinden können. Zur Zeit des deutschen Kaiserreichs (1871 bis 1918) waren Maifeiern emotional aufgeladen. Als Protest- und Feiertag der sozialistischen oder sozialdemokratischen Arbeiterbewegung gehen sie auf einen Generalstreik in den Vereinigten Staaten zurück, der am 1. Mai 1886 ausgerufen worden war. Vier Tage später ereignete sich in Chicago in diesem Zusammenhang ein Bombenattentat, das 18 Menschen das Leben kostete. Den Anschlag sollten angeblich acht Arbeiter verübt haben, von denen schließlich vier zum Tod durch den Strang verurteilt wurden. US-Gewerkschaften kündigten für den 1. Mai 1890 erneut bundesweite Streiks an. Denen schlossen sich französische und deutsche Gewerkschaften an: Der 1. Mai war zum Protest- und Feiertag geworden.

Zeitgleich existierte im Kaiserreich noch das Bismarksche "Sozialistengesetz", das die Sozialdemokraten in Deutschland unter die Beobachtung staatlicher Sicherheitsbehörden gestellt hatte. Von 1890 an lockerte sich diese Einstellung gegenüber der Arbeiterpartei. Ortsvereine entstanden in der Folge. Laut Stadtarchivleiter Florian Notter gründete sich die Freisinger SPD im Jahr 1894. Dennoch standen die Sozialdemokraten, und insbesondere ihre Maifeiern, unter staatlicher Beobachtung. Der Freisinger Stadtmagistrat habe noch bis in den Ersten Weltkrieg hinein Anweisungen erhalten, die Maifeiern "aufmerksam zu begleiten und darüber Bericht zu erstatten", schildert Notter. Pflichtschuldigst hatte deshalb Freisings Bürgermeister das Feldartillerieregiment in der Neustifter Kaserne, die sich damals im heutigen Landratsamt befand, über die geplante Feier am 6. Mai 1900 in Kenntnis zu setzen. Zum Einsatz kamen die Soldaten aber nicht.

Bis 1897 haben in Freising weitgehend unpolitische Veranstaltungen zum Tag der Arbeit stattgefunden. Dazu gehören die des katholischen Arbeitervereins St. Joseph und jene des Freisinger Metallarbeitervereins, der für das Jahr 1891 belegt ist. 1894 hatte sich der "Socialdemokratische Wahlverein Freising" gegründet, der sich mit einem kleinen Familienfest begnügte. 1897 fand erstmals eine Kundgebung mit politischem Referat statt. Arbeitsniederlegungen wie in anderen deutschen Städten gab es in Freising nicht. Um solche zu vermeiden, waren die Freisinger Sozialdemokraten offenbar auf den ersten Sonntag im Mai ausgewichen - so auch im Jahr 1900. Maifeier und Sozialdemokratie seien zum Zeitpunkt, als das rote Plakat in das Stadtarchiv zu den städtischen Akten gelegt wurde, noch junge Institutionen gewesen, stellt Notter fest. Keiner habe ahnen können, welche Bedeutung ihnen im 20. Jahrhundert noch zukommen sollte.

© SZ vom 04.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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