Atomkraft-Gegner:Damit die Welt lebenswert bleibt

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Andreas Henze und das Freisinger Bündnis für den Atomausstieg freuen sich , dass der Kraftwerksbetreiber Eon den Atommeiler früher abschaltet. (Foto: Marco Einfeldt)

Andreas Henze kämpft dafür, dass erneuerbare Energien den Atomstrom ablösen, um Katastrophen zu vermeiden

interview Von Alexandra Vettori, Freising

Das Freisinger Bündnis für den Atomausstieg hat am Samstag eine große Abschaltparty gefeiert. Denn Ende Juni wird das bayerische Atomkraftwerk Grafenrheinfeld vom Netz gehen. Nicht nur für Andreas Henze ein kleiner Teilsieg auf einem langen, steinigen Weg. Den Anstoß, sich gegen Atomkraft und für alternative Energieformen zu engagieren, gab auch bei Andreas Henze das Atomunglück von Tschernobyl. Beim Abwehrkampf gegen eine gefährliche Form der Energiegewinnung ließ er es jedoch nicht bewenden.

SZ: Was genau ist am Wochenende gefeiert worden?

Henze: Wir haben die kommende Stilllegung des Atomkraftwerkes Grafenrheinfeld gefeiert. Ursprünglich sollte es Ende 2015 vom Netz gehen, aber Eon hat die Stilllegung auf den 31. Mai vorverlegt, da sie sonst noch die Brennelemente hätten tauschen müssen. Dadurch wäre die Brennelementesteuer angefallen. Und um diese nicht zahlen zu müssen, wurde der Termin vorverlegt. Mittlerweile haben sie mit neuen Berechnungen zur Brenndauer der im Reaktor befindlichen Brennelemente den Abschalttermin zweimal nach hinten verschoben, auf derzeit den 27. Juni.

Wie-lange gibt es das Freisinger Anti-Atom Bündnis und wer engagiert sich?

Das Freisinger Bündnis für den Atomausstieg wird von vielen Organisationen, Parteien und Privatpersonen getragen. Alleine unser Newsletter geht an über 650 Personen und Gruppen. Vor allem seit dem Unglück von Fukushima hat die Unterstützung aus der Jugend stark zugenommen.

Wie sieht der Energiemix von Deutschland und Bayern derzeit aus? Wie im Landkreis Freising?

In Deutschland erzeugten die erneuerbaren Energien vergangenes Jahr mit 31,1 Prozent den bislang höchsten Anteil am Nettostromverbrauch. In Bayern waren es 2013 ebenfalls etwas über 30 Prozent, allerdings lag hier der Atomstromanteil noch bei 47 Prozent. Mit dem Abschalten von Grafenrheinfeld wird er sich auf 35 Prozent reduzieren und etwa in gleicher Höhe mit den Erneuerbaren liegen. Im Landkreis machten 2012 die Erneuerbaren Energien 68,1 Prozent aus. Die Daten für 2013 und 2014 werden gerade erhoben.

Wodurch kann Atomstrom am besten ersetzt werden?

Im Moment erzeugen wir in Deutschland einen Überschuss an Strom für den Export nach Europa in einer Höhe von 31,5 Milliarden Kilowattstunden. Das entspricht der Produktion von vier großen Atomkraftwerken. Kurzfristig wäre ein vollständiger Ersatz aller deutschen Atomkraftwerke durch ein Zurückfahren des Exports und das Betreiben von vier bis fünf älteren oder derzeit nicht in Betrieb befindlichen fossilen Kraftwerke möglich und aus Sicherheitsgründen wichtig. Daneben ist der Ausbau der erneuerbaren Energien - der in den letzten Jahren massiv ins Stocken geraten ist - wieder voranzutreiben. Da die Potenziale für Wasserkraft, wahrscheinlich auch Geothermie, und Biomasse begrenzt sind, muss der Großteil der neuen Anlagen Sonne und Wind nutzen. Alle Untersuchungen, wie unsere Energieversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien umgestellt werden kann, gehen von dem Fünf- bis Sechsfachen der derzeit installierten Anlagen aus. Wir brauchen also dringend den weiteren Ausbau von Photovoltaik und Windenergie.

Wie sieht Ihre Lösung für das Speicherproblem aus?

Da der Strom aus erneuerbaren Energien zwar sehr gut vorhergesagt, aber nicht vom Menschen bestimmt werden kann, benötigen wir Speicher in der Größenordnung von rund zwei Wochen unseres Strombedarfes. Pumpspeicher können derzeit nur 30 Minuten des deutschen Strombedarfes abdecken. Batterien sind eine Möglichkeit, zur saisonalen Speicherung werden wir aber wohl auf die Umwandlung von Strom in Methan zurückgreifen, da Deutschland riesige Gasspeicher besitzt und das Gasnetz hervorragend zur Übertragung großer Mengen von Energie geeignet ist. Diese Technik muss dringend weiterentwickelt und in die Praxis umgesetzt werden, erste Anlagen gibt es schon.

Warum hakt es bei der Energiewende, wo doch zuerst die Begeisterung so groß war?

Die Bundesregierung hat im neuen Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) mehrere Dinge geändert, die den Ausbau sehr stark gebremst haben: Zum einen wurde die Vergütung zu stark gesenkt, so dass viele Anlagen nicht mehr wirtschaftlich sind. Weiterhin wurde vor zwei Jahren bei der Photovoltaik ein "atmender Deckel" eingeführt, der den Zubau begrenzen soll. In der Realität hat er den Zubau aber nicht nur gebremst sondern von 7,5 Gigawatt (GW) in den Jahren 2010 bis 2012 auf jetzt 1,9 GW geviertelt. Für die Energiewende langfristig nötig ist aber ein Zubau von rund 7,5 GW pro Jahr. Als letzte Hürde wurde ein Ausschreibungsverfahren ins EEG für Wind und Sonne implementiert, das die vielen kleinen Betreiber der Energiewende aus dem Rennen schmeißt, da der Aufwand massiv nach oben und die Planungssicherheit nach unten verschoben wird. Das können nur noch größere Konzerne leisten, bei denen sich das Risiko auf viele Projekte verteilt. Damit wird aber die große Antriebskraft der Energiewende - die Bürger und die vielen privaten Betreiber - aus der Energiewende heraus getrieben.

Das nächste große Thema ist die Mobilität. Wie sieht ihre Vision dafür aus?

Unsere Mobilität wird sich in der näheren Zukunft elektrifizieren. Längst bieten jetzt alle großen Automobilfirmen Elektrofahrzeuge an. Diese sind den bisherigen Autos überlegen: Elektroautos sind leise, haben keinen Auspuff, haben höhere Beschleunigungen und sind angenehmer zu fahren. Und bei der Reichweite sind 200 Kilometer und mehr keine Seltenheit. Bei einer Ladezeit von einer halben Stunde für 80 Prozent gibt es keine wirklichen Nachteile, für weitere Strecken bietet sich ja auch die Bahn als Alternative an.

Der Kampf für die Energiewende ähnelt dem des Sisyphos, woher nehmen sie Ihre Motivation über all die Jahre?

Meine Motivation entspringt meiner persönlichen Verantwortung gegenüber der Erde, meinen und unseren Kindern. Damit die Welt auch in den kommenden Generationen lebenswert ist.

© SZ vom 15.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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