Frauenhaus München:Leben lernen nach dem Albtraum

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Viele traumatisierte Kinder brauchen auch Hilfe in der Schule. Die Frauenhilfe München unterstützt sie nun mit einem speziellen Nachhilfeprojekt. (Foto: Frauenhaus / oh)

Ein Vater entführt seine drei kleinen Kinder nach Bali. Eineinhalb Jahre lang ist ihre Mutter auf der Suche nach ihnen. Jetzt sind sie im Frauenhaus München untergekommen - und können endlich aufatmen.

Von Beate Wild

Es ist der Albtraum jeder Mutter, den Maya in den vergangenen zwei Jahren durchlebt hat. Alles beginnt mit einem Streit mit ihrem Ehemann. Er ist schon seit längerem untreu, hat deshalb keine Zeit für sie und die drei Kinder. Maya stammt aus Bali und hat, seit sie mit ihm verheiratet ist, schon manche Schmach erdulden müssen. Doch nun ist sie aufgebracht und will eine Klärung der Situation.

Der Disput endet damit, dass er seine zierliche Frau aufs Schlimmste verprügelt. Um Abstand zu gewinnen, flüchtet Maya zusammen mit ihren Kindern zu ihrer Cousine. Als der Vater ein paar Wochen später die Kinder sehen will und mit ihnen zu einem Ausflug aufbricht, kommen sie nicht mehr davon zurück. Mayas Mann hat das Zusammentreffen mit seinen Kindern genutzt, um sie zu entführen. Er setzt sich mit ihnen ins Ausland ab. Eineinhalb Jahre lang weiß Maya nicht, wo ihre Kinder sind und ob sie noch leben.

Nun sitzt die 33-Jährige in einem Frauenhaus in München und lächelt freundlich. Die junge Mutter, die seit elf Jahren in München wohnt und in Wirklichkeit anders heißt, muss ihre wahre Identität aus Angst vor ihrem unberechenbaren Noch-Ehemann unbedingt geheim gehalten. Die Gefahr einer erneuten Entführung der Kinder ist zu groß. Heute kann Maya wieder lachen. Seit Anfang des Jahres hat sie ihre drei Kinder wieder bei sich - auch wenn der Albtraum mit ihrem Gatten noch lange kein Ende hat.

"Es hat eineinhalb Jahre gedauert, bis ich herausgefunden habe, wo die drei sind", sagt Maya. Ihr Mann, ein heute 45 Jahre alter Deutscher, hatte den heute fünfjährigen Wayan, die siebenjährige Surya und die zehnjährige Eka (Namen geändert) mit nach Bali genommen, der Heimat ihrer Mutter. Dort wollte er mit den Kindern leben. Ohne seine Ehefrau, dafür aber mit seiner neuen Freundin, die damals gerade schwanger von ihm war.

Nachdem die Kinder verschwunden sind, reist Maya nach Bali, um auf eigene Faust nach ihren Kindern zu suchen. Sie hat eine leise Ahnung, dass ihre Kinder dort sein könnten. Wochenlang forscht sie nach ihnen, doch ihre Suche bleibt ergebnislos. Erst ein Jahr später entdeckt eine dort ansässige Wohltätigkeitsorganisation die Entführten. Die Kleinen sind in einem Haus bei Verwandten zurückgelassen worden, vom Vater fehlt jede Spur. Als Maya mit einer Anwältin hinfliegt, um die Kinder zurück nach Deutschland zu holen, erkennen die beiden Kleinsten ihre Mutter nicht mehr.

Nun wohnt die kleine Familie in einem Münchner Frauenhaus. Die beiden Töchter gehen zur Schule. "Doch vor allem Surya hatte große Probleme, da sie anfangs die deutsche Schrift nicht lesen konnte", erzählt Maya. Auf Bali hatte sie zwar sporadisch Unterricht, aber das hat ihr an der deutschen Grundschule nichts geholfen. Um nicht gleich schon in der ersten Klasse den Anschluss zu den Mitschülern zu verlieren, bekommt Surya Nachhilfe. "Das hat sie gerettet", sagt Maya und lacht erleichtert. Ihre schwarzen langen Haare fallen seidig über die Schultern. "Ich bin froh und dankbar", sagt sie leise.

Die Nachhilfe ist Surya über das Frauenhaus ermöglicht worden. Durch eine großzügige Spende konnte die Frauenhilfe München Anfang 2013 mit dem neuen Angebot starten. Im vergangenen Jahr wurden in München 1698 Frauen Opfer häuslicher Gewalt. Davon waren in 985 Fällen die Kinder zur Tatzeit anwesend. "Kinder, die Gewalt in der Familie erlebt haben, können sich oft nicht mehr konzentrieren, der emotionale Stress wirkt sich unmittelbar auf die schulischen Leistungen aus", erklärt Caroline Beekmann, die Presseverantwortliche bei der Frauenhilfe, das Projekt.

Hausaufgabenbetreuung in der Gruppe und ein Freizeitangebot für Kinder aus Problemfamilien gibt es bei der Frauenhilfe München zwar schon länger, doch einige Mädchen und Buben benötigen vorübergehend einfach besondere Hilfe. Damit bei den betroffenen Schülern die Schuldgefühle und die Frustration nicht noch weiter zunehmen, müsse man ihnen individuell auf die Sprünge helfen.

Seit dem Frühjahr besuchen vier Mädchen und Buben des Frauenhauses das neue Nachhilfeangebot. Die meisten Probleme bestehen in Deutsch und Mathematik. Ein Nachhilfeanbieter aus München ist Partner des Frauenhauses und gibt den Schülern zweimal pro Woche Einzelstunden in ihren kritischen Fächern. Die Bemühungen führten schon bald zum Erfolg. "Bei allen vier Kindern können wir deutliche Verbesserungen der schulischen Leistungen feststellen", sagt Beekmann. Nicht nur, dass die Noten besser geworden sind, auch das Selbstbewusstsein der Kinder ist durch die Lernerfolge gestärkt. "Die Schüler freuen sich, einen ruhigen Platz zum Lernen zu haben und eine Lehrkraft, die ihnen alles erklärt, was sie in der Schule nicht verstanden haben", sagt Beekmann.

Auch bei Surya, die nun schon in die zweite Klasse geht, trägt die Nachhilfe Früchte. Auf die Frage, was sie nun besser könne als zuvor, antwortet die Siebenjährige: "Ich habe alle Buchstaben gelernt." Für die kleine Deutsch-Indonesierin, die Anfang des Jahres mit der deutschen Schrift noch gar nicht zurecht kam, ist das ein großer Erfolg. Es läuft sogar so gut in der Schule, dass Surya im neuen Schuljahr keine Nachhilfe mehr braucht.

Dafür gibt es weitere Kinder, die mit ihren Müttern im Frauenhaus wohnen und aufgrund der erlebten Gewalt Probleme im Unterricht haben. Regelmäßige Nachhilfestunden, für die der SZ-Adventskalender um Spenden bittet, könnten sie retten .

© SZ vom 30.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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