Franz Neumann:Der Wächter des weiß-blauen Himmels

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Am Fuße des Alten Peters nimmt er es mit dem Teufel und Schulklassen auf: Franz Neumann ist der berühmteste Türmer der Stadt.

Anna Fischhaber

306 - nur diese nackte Zahl steht in dicken blauen Buchstaben auf dem Pappschild am Fenster der Turmkasse am Fuße des Alten Peter. Es gibt Fragen, die kann man gar nicht oft genug beantworten. Die nach der Zahl der Stufen zu einer der schönsten Aussichten Münchens gehört dazu - zumindest für Franz Neumann.

Bewacht eine der schönsten Aussichten der Stadt München: Franz Neumann ist der Türmer des Alten Peter. (Foto: Foto: Anna Fischhaber)

Seit 16 Jahren ist der Münchner der Türmer der ältesten Pfarrkirche der Stadt und hat es täglich mit zahlreichen Stadtralleys zu tun. Doch wer das Schild übersieht, hat Pech gehabt - von Neumann gibt es meist nur eine Antwort: "Selber zählen, schließlich wollen wir Umsatz machen."

Von der Kasse am Fuße des Turmes kann man nur den schmiedeeisernen Eingang zur engen Wendeltreppe nach oben sehen. Statt München und die Alpen grüßen Schloss Neuschwanstein, ein Wolperdinger und der bayerische Papst vom Postkartenstand. Vor dem Kassenfenster drängeln sich aufgeregte Schulklassen. Es ist morgens um halb zehn, über der Stadt liegt ein grauer Nebel, doch die Besucher scheint das nicht zu stören. "Heute ist wieder so ein Stresstag: Manchmal komme ich mir vor wie auf einem Schulhof", flucht Neumann, während sein Kaffee kalt wird.

Kardinal Wetter, der in diesem Moment vorbeieilt, scheint die Flüche nicht gehört zu haben. Katholisch muss man als Türmer von St. Peter sowieso nicht sein, höchstens schwindelfrei. Jeden Abend klettert Neumann die 306 Stufen selbst empor, um sicherzugehen, dass sich alle Besucher vom "schönsten Sonnenuntergang über der Stadt" losreißen konnten. Und wenn der Fön schon morgens eine Sicht "fast bis Venedig" erlaubt, dreht Neumann vor der Arbeit eine Extrarunde. Seine Olchinger Wohnung liegt im Parterre.

Der Alte Peter und die Gemütlichkeit

Früher war der 59-Jährige mit dem weißen Schnauzer und dem braungebrannten Gesicht Busfahrer - und meistens unterwegs. Jetzt verbringt er vier Tage die Woche auf dem nach seinen Angaben umsatzstärksten Quadratmeter der Stadt zwischen den immergleichen König-Ludwig-Anhängern. "Das Tolle an meinem Beruf ist, das sich hier die ganze Welt trifft", erklärt Neumann und sieht gleich wieder ein wenig versöhnter aus. "Der Japaner liest das praktisch schon im Flieger: Glockenspiel, Alter Peter, Hofbräuhaus. Und in dieser Reihenfolge macht er das auch", sagt der Türmer.

"I ten go" oder so ähnlich klingt es, wenn er den Eintrittspreis von 1,50 Euro auf Japanisch sagt. "Einmal kamen kleinwüchsige Mongolen, die ihren gesamten Urlaub mit dem Vortragen von Volksliedern finanziert haben." Die meisten Turmbesteiger sind aber aus den USA und Italien. Auch ein paar Sportler aus München, die sich mehr für die Treppen als für die Aussicht interessieren, gehören zu den Stammgästen.

Franz Neumann
:Der Wächter des weiß-blauen Himmels

Am Fuße des Alten Peters nimmt er es mit dem Teufel und Schulklassen auf: Franz Neumann ist der berühmteste Türmer der Stadt.

Anna Fischhaber

Schon hundert Jahre vor der eigentlichen Gründung der Stadt im Jahre 1158 steht die erste Peterskirche auf dem Petersbergl, dem höchsten Punkt der Altstadt. Ein Stadtbrand zerstört sie 1327 fast vollständig, nur die Türme bleiben erhalten. Beim Wiederaufbau trägt man sie teilweise ab und errichtet bis 1386 nur noch einen breiten Mittelturm mit zwei spitzgiebeligen Helmen. Die Münchner nennen ihn heute liebevoll ihren "Alten Peter". Sogar ein Lied über die Kirche gibt es. Die Melodie zu "Solang der alte Peter am Petersbergl steht, (...) so lang stirbt die Gemütlichkeit bei den Münchnern niemals aus" ertönt heute noch als Pausenzeichen im Bayerischen Rundfunk.

Allerdings passen die Zeilen eher zu Neumann, der bei Wind und Wetter die Stellung hält. Sein Arbeitsplatz dagegen wurde im Laufe der Zeit immer wieder von den Widrigkeiten der Geschichte heimgesucht: Neben den vielen Blitzen, die regelmäßig in das Dach des Turms einschlagen, waren es die Bürger selbst, die die Kirche einst abreißen wollten. Zu arg hatte der Zweite Weltkrieg den alten Gemäuern zugesetzt. Die Bohrsätze sollen bereits montiert gewesen sein, als der damalige Bürgermeister Thomas Wimmer die Katastrophe in letzter Sekunde verhinderte.

"Das Kreuz ist stangerlgrad"

Heute hat fast jeder Münchner zur ältesten Pfarrkirche der Stadt seine ganz persönliche Geschichte parat. Neumann kennt sie alle. "Dagegen, dass das Kreuz schief ist, wie Stadtführer oft erzählen, wehre ich mich vehement", sagt der Türmer. Ein früherer Turmwächter soll dieses als Waffe gegen den Teufel benutzt und dabei verbogen haben. "Vor zwei Jahren haben wir den ganzen Turm neu gemacht: das Kreuz ist stangerlgrad", sagt Neumann. Warum der Alte Peter als wohl einziger Kirchturm der Welt acht Uhren hat, beantwortet dagegen auch er mit Karl Valentin: "Damit acht Münchner gleichzeitig auf die Uhr schauen können."

Manche Geschichten und Traditionen lohne es sich eben, aufrechtzuerhalten. Und so schützt Neumann, wie schon seine Vorgänger, die Münchner vor dem Feuer. Früher musste der Türmer die ganze Nacht auf der Aussichtsplattform des Alten Peter wachen. Mit einer Glocke warnte er die schlafende Stadt vor Bränden, ein Sprachrohr diente zur Verständigung mit der Feuerwehr. Heute ist von dieser Tradition nur noch der elektrische Brandmelder geblieben, den Neumann betreut.

Und ein Eimer Wasser, der immer unter dem Tisch des Türmers steht - falls der Papierkorb auf dem Petersplatz mal wieder von rauchenden Passanten zum Qualmen gebracht wird.

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