Fragen aus dem Stadtleben
Warum wird München oft als Dorf bezeichnet?
Semmeln statt Brötchen, Tram statt Straßenbahn: Hier die Erklärungen für die Eigenheiten des Alltagslebens in München.Die bayerische Gemütlichkeit wird auf jeder festlichen Veranstaltung mit mehreren Prosit gefeiert. Kein Wunder, dass München als Dorf bekannt ist. Aber liegt das wirklich nur am Gemüt? Keineswegs.Beispiel 1: Die Hochhäuser. Ein Bürgerentscheid zeigte, dass die Münchner ihren Dorfcharakter behalten wollen. Hochhäuser, die die Türme der Frauenkirche überragen, sind unerwünscht. Damit dürfen neue Gebäude maximal 99 Meter Höhe erreichen.Beispiel 2: Die U-Bahn. Eine rauschende Partynacht geht zu Ende, man verlässt verschwitzt den Club und will nur nach Hause. Nach zwei Uhr sieht das schlecht aus - die letzte U-Bahn ist schon weg.Beispiel 3: Die Bewohner. Es gibt keine empirischen Beweise für dieses Münchner Phänomen, aber sobald man länger als ein Jahr in dieser Stadt lebt, trifft man überall Bekannte. In der Kaufingerstraße, im Englischen Garten, im Club oder am Karlsplatz beim Warten auf die S-Bahn - anonym wie eine Großstadt ist München mit Sicherheit nicht.Foto: Getty
Fragen aus dem Stadtleben
Warum liegen mitten in München die Nackten am Eisbach?
"Köstliche, gesunde, stille Nacktheit in der Natur ! O könnte die arme, kranke, geile Stadtmenschheit dich nur einmal wieder kennen lernen."So schreibt der amerikanische Dichter Walt Whitman 1877 in seinem Tagebuch. 100 Jahre später folgen die Münchner seinem Rat und sonnen sich unbekleidet am Eisbachufer im Englischen Garten. Nacktbadende mitten im Zentrum, die biederen Bayern waren entsetzt. Dennoch setzten sich die Nudisten durch. Die Stadt erlaubte die Freikörperkultur an zwei offiziellen Abschnitten, vielleicht um den Ruf Münchens als konservatives Dorf abzulegen.Damit schafften es die Nackten vom Eisbach in den achtziger Jahren nicht nur in einen Bericht der New York Times, sondern sie waren Trendsetter in Deutschland: Schon bald eröffneten in Westberlin an verschiedenen Seen FKK-Bereiche.Foto: ddp
Fragen aus dem Stadtleben
Warum dürfen sich Besucher in München ihre Brotzeit mit in den Biergarten bringen?
Zugezogene staunen immer wieder, wenn die Münchner am Chinesischen Turm ihre Biergartenbrotzeit auspacken. Radi, Obazda und Radieschen werden auf die eigene Tischdecke drapiert. Mitgebrachtes Essen in einem öffentlichen Speisebereich - und keinen stört es, der Bayerischen Biergartenverordnung sei Dank.Darin heißt es: "Kennzeichnend für den bayerischen Biergarten im Sinne der Verordnung sind vor allem zwei Merkmale: der Gartencharakter und die traditionelle Betriebsform, speziell die Möglichkeit, dort auch die mitgebrachte, eigene Brotzeit unentgeltlich verzehren zu können, was ihn von sonstigen Außengaststätten unterscheidet." Außerdem erfüllen Biergärten "wichtige soziale und kommunikative Funktionen (...) und bieten gerade Besuchern mit niedrigem Einkommen und Familien, insbesondere durch die Möglichkeit zum Verzehr mitgebrachter Speisen, eine erschwingliche Gelegenheit zum Einkehren."Foto: Stephan Rumpf
Fragen aus dem Stadtleben
Warum gilt auf der Rolltreppe links gehen, rechts stehen
Ob am Marienplatz, Stachus oder Hauptbahnhof, egal wo die Münchner aus dem Untergrund nach oben fahren, sie befolgen brav die Regel "links gehen, rechts stehen". Zumindest die Einheimischen. Denn wer sich nicht an das ungeschriebene Rolltreppengesetz hält, wird ganz schnell zur Ordnung gerufen - oder einfach umgerannt.Man muss die Falschfahrer aber eigentlich gegen den bayerischen Groll in Schutz nehmen. Denn das hier noch ungeschriebene Gesetz ist in London, Paris und Düsseldorf längst durch Schilder geregelt. Und während dem Reisenden das richtige Verhalten auf Rolltreppen so ganz einfach gemacht wird, findet man in München bisher nur am Flughafen kleine Piktogramme für Gehen oder Stehen. Trotzdem erwartet der gestresste Großstädter zügigen Treppentransport und wer stehen will, soll das bitte rechts tun. Denn was im Straßenverkehr klappt, kann auch auf der Rolltreppe nicht verkehrt sein.Foto: Robert Haas
Fragen aus dem Stadtleben
Warum bestellt man in München Semmeln statt Brötchen?
"Zwei Mohnbrötchen und ein Vollkorn, bitte!" Fragende Blicke in der urbayerischen Backstube. In München bestellt man sich zum Frühstück Semmeln, die Brötchen-Nummer entlarvt sofort den Zugereisten. Tatsächlich besteht zwar in der Verwendung der beiden Begriffe kein Unterschied, der Duden weist sie als Synonyme aus. Dennoch ist das Brötchen vor allem im Norden des Landes verbreitet, während der Süden Semmeln futtert. Aber was bedeutet das eigentlich?Das Wort Semmel stammt ursprünglich von dem Assyrischen samidu und bedeutet weißes Mehl. Über die Griechen kam der Begriff zu den Römern, die daraus simila, das Weizenmehl, machten. In den einst unter römischer Herrschaft stehenden Gebieten hat sich das Wort erhalten - in München heißt das kleine, runde, aus feinem Weizenmehl gebackene Brötchen bis heute Semmel.Und weil jeder seine Eigenheiten pflegt, sprechen die Franken vom Kipfle, die Berliner von der Schrippe und die Schweizer vom Weggli. Jeder nach seinem Geschmack.Foto: ddp
Fragen aus dem Stadtleben
Warum haben so viele Fußballfans etwas gegen den FC Bayern?
Es gibt sie tatsächlich: Die Webseite antibayern.de führt einen selbsternannten "Kampf gegen das Böse" und macht Stimmung gegen den bayerischen Fußball-Krösus. Und auch wenn die angebliche Unterstützung von 70 Millionen Antibayern übertrieben wirkt, es bleibt die Frage, warum so viele Fußballfans etwas gegen den FC Bayern München haben.Positiv formuliert ist es schlichtweg der Neid auf den fußballerischen Erfolg des deutschen Rekordmeisters. Damit ließe sich ja noch gut leben. Schließlich stellte schon Oscar Wilde fest: "Jeder Eindruck, den man macht, schafft Feinde. Um populär zu bleiben, muß man mittelmäßig sein." Aber da weder Mittelmäßigkeit noch Understatement Sache des FC Hollywood sind, bleiben die Bayern wohl der umstrittenste Club der Bundesliga.Zum Glück für alle Münchner haben die Toten Hosen in ihrem Song "Bayern" aber eines eindeutig klargestellt: "(...) damit wir uns richtig verstehen: ich habe nichts gegen München, ich würde nur nie zu den Bayern gehen." Foto: dpa
Fragen aus dem Stadtleben
Warum heißt die Straßenbahn in München Tram?
Wie ein blauer Wurm schlängelt sie sich jeden Tag um die Münchner Innenstadt. Als Nachttram mit gelbem Eulen-Aufkleber versehen, sammelt sie beim Partyvolk als Rund-um-die-Uhr-Verkehrsmittel Pluspunkte. Während das Verkehrsmittel andernorts den spröden Titel Straßenbahn trägt, nennt sie der Münchner Tram. Wie kommt es dazu? Vielleicht will sich der Südbayer international geben und lehnt seinen Sprachgebrauch an die englische tramway an.Die Bezeichnung wird dann, je weiter südlich man kommt, immer wunderlicher: Während die Franken noch brav von Straba reden, haben die Münchner offiziell Trambahnen, die Wiener fahren Bim oder Bimmel und die Schweizer nennen die letzte Bahn in der Nacht den Lumpensammler.Foto: Robert Haas
Fragen aus dem Stadtleben
Warum streicheln alle den Löwenkopf vor der Residenz?
Ein Nachmittag in der Residenzstraße. Besucher, Spaziergänger und Touristen schlendern an dem Münchner Prachtbau vorbei - und wundern sich. Warum bleiben die Einheimischen immer wieder stehen und streicheln den Löwenkopf?Wer denkt, die Münchner seien wunderlich geworden, der irrt. Jede Stadt hat ihre eigenen Glücksrituale: In Verona fasst man der Skulptur der Julia an die Brust. In Yale reiben Studenten den Zeh einer Statue von Nathan Hale. In Rom wirft man Münzen in den Trevi Brunnen. Und in München streichelt man den Löwenkopf vor der Residenz. Kein Wunder, ist doch der König der Tiere das Wappentier des Freistaates Bayern.Foto: Josef Wildgruber
Fragen aus dem Stadtleben
Warum lässt man in München ein Norgerl übrig?
Feierabend im Biergarten und nach drei, vier oder fünf Prosit neigt sich die Maß dem Ende. Der Münchner bestellt sich gleich den nächsten Krug, obwohl noch ein gutes Schlückchen im Glas ist. Es ist das "Noagerl", das jeder anständige Biertrinker in der bayerischen Hauptstadt verschmäht. Warum?Wieder ein Anzeichen für die Dekadenz der Münchner? Oder ein Affront gegen die österreichischen Nachbarn, die dem letzten Rest im Glas den Namen "Norgerl" verpasst haben? Weder noch. Auf der Wiesn lautet die bierselige Erklärung - vornehmlich gegenüber Bierfremden Japanern - der Alkohol sinke im Bier langsam nach unten und wer nicht betrunken werden will, muss das "Norgerl" stehen lassen. Tatsächlich liegt es aber wohl einfach am Geschmack: Das "Norgerl" steht meist so lange, dass es schal und abgestanden schmeckt - und gerne übrig gelassen wird.Foto: ddp