Förderverein:Akrobatisch in die Zukunft

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Solomon Solgit will jungen Menschen in seiner Heimat Äthiopien eine Perspektive geben - sie sollen ihre Talente entdecken

Von Claudia Koestler, Bad Tölz

Er hält die Balance, auch wenn er nur mit einem Bein auf dem Hochseil steht und nebenbei mit vier Keulen jongliert. Er beherrscht den Überschlag und spielt bei seinen Shows gerne mal mit Feuer. Solomon Solgit, 31, ist Akrobatikkünstler. Er konnte eine Vielzahl von internationale Engagements verbuchen, inzwischen ist er in 37 Ländern aufgetreten und ein weiterer Höhepunkt wartet 2019 auf ihn: Solgit wird eine Hauptrolle im neuen Programm des weltbekannten Cirque du Soleil übernehmen. In der kommenden Woche fliegt er zu den Proben nach Kanada. Das ist aber nur die eine Seite im Leben des

Akrobatikkünstlers. Die andere: Er hat einen Förderverein gegründet, um in seiner Heimat Kindern zu helfen. Die Organisation will jungen Menschen in Äthiopien eine Perspektive geben - sie sollen ihre Talente entdecken.

Bewogen hat Solgit zu dem sozialen Engagement sein eigener Lebensweg. Der heute 31-Jährige wurde in Addis Abeba geboren, kam aber bereits als Kleinkind nach Adama, wo er aufwuchs. Dass er heute international als Akrobatikkünstler und Choreograf gefragt ist, "verdanke ich nur der Tatsache, dass ich die Möglichkeit hatte, mit neun Jahren in einem Kulturzentrum anzufangen", sagt er. Dort konnte er sich ausprobieren, seine Talente wurden gefördert, und die Arbeit zahlte sich aus: Solgit gewann 2005 die äthiopische Meisterschaft in Gymnastik und damit ein Stipendium in China, wo er unter anderem Choreografie studierte. Im Anschluss begann seine internationale Karriere.

Für viele kommt erst die Frage nach dem wirtschaftlichen Erfolg, und dann die nach der Kunst. Solomon Solgit aber will das Prinzip umdrehen - und mit der Kunst eine Möglichkeit schaffen, dass Straßenkinder in Äthiopien mehr Erfolg im Leben haben können. Zusammen mit seiner Frau Johanna Gebretsadik hat er 2016 in Bad Tölz den gemeinnützigen Förderverein "SunEko" gegründet - der wiederum in Äthiopien das Projekt "SunEko Art for Social Development" unterstützt.

In dem Kulturzentrum in der äthiopischen Stadt Adama, etwa 90 Kilometer von der Hauptstadt Addis Abeba entfernt, können Kinder und Jugendliche ihre Talente entdecken und spielerisch Akrobatik lernen, auch ihr Ehrgeiz soll damit geweckt werden. Sie können zudem eine reguläre Schule besuchen und erhalten Schulmaterialien, bei Bedarf Nachhilfe und einmal pro Woche auch eine Mahlzeit.

"Die Idee dazu hatten wir bereits vor etwa fünf Jahren, seit zwei Jahren läuft das Projekt", erklären Solgit und Gebretsadik. Etwa 35 Kinder werden derzeit in dem Zentrum in Adama betreut und gefördert, als langfristiges Ziel hoffen die beiden auf mehr als 150 Kinder, die sie überwiegend aus schwierigen sozialen Verhältnissen oder auch direkt von der Straße holen.

"Mein Lebensweg zeigt: Es gibt mehr Möglichkeiten, etwas zu schaffen, als nur der akademische Weg. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, nicht nur Doktor, Jurist oder Straßenkind, es gibt ganz viel dazwischen", sagt Solomon Solgit. Das müsse auch nicht zwangsläufig die Karriere als Künstler sein - "jeder hat ein Talent, man muss es nur finden. Und dazu gehört eine Perspektive, eine soziale Entwicklung, der Wille, sich mit etwas zu beschäftigen, Disziplin zu haben, Ehrgeiz zu entwickeln, sich zu bewegen und sich von Drogen fernzuhalten", sagt Solgit. Dinge, die das Kunst- und Kulturzentrum den jungen Menschen bietet, um sie stark zu machen. "Es geht nicht immer um den großen Auftritt. Es geht dabei auch um das Lernen von Geduld, etwas zu erreichen", sagt Solgit. Und wenn die Kinder daraus selbst Perspektiven für sich erkennen, helfe dies auch, Fluchtursachen zu bekämpfen und das afrikanische Land zu stärken, erklärt er.

Der Name SunEko setzt sich aus zwei Begriffen zusammen: "Sun steht für Sonne, denn eine Welt ohne Sonne geht nicht", sagt Solgit. Eko wiederum geht auf Echo zurück: "Wir wollen positive Energie verbreiten wie ein Echo", sagt der Künstler.

Bei einem äthiopischen Fernsehsender hatte Solgit 2015 einen Aufruf für sein Projekt gestartet und anschließend eine Auswahl getroffen. "Das Team sollte aus Menschen mit unterschiedlichen Berufen und Hintergründen bestehen", erklärt er - was gelang: Heute engagieren sich dort ein Theaterintendant, Musiker, Journalisten und Buchhalter, um ein paar Beispiele zu nennen. Es sind ausschließlich Freiwillige, die die Angebote des Zentrums in Adama stemmen, geleitet von dem Psychologen Ephrem Bekele.

Der Förderverein mit Sitz in Tölz wiederum versucht über Mitgliederbeiträge und Aktionen Geld- und Sachspenden für den laufenden Betrieb beizusteuern. Bislang seien etwa 6000 Euro zusammengekommen, dazu diverse Sachspenden wie Schulhefte, Lehrmaterial und Computer. Die meisten Gegenstände aber fertigen sich die Jugendlichen selbst, etwa die Jonglierbälle - und auch die Halle, in der sie ihre Künste trainieren, haben sie erst kürzlich mit eigenen Händen gestrichen und verschönert.

Auch wenn Solomon Solgit durch seinen Beruf und seinen Wohnsitz in Bad Tölz nicht ständig anwesend sein kann, ist er in dem äthiopischen Kulturzentrum äußerst präsent: Via Internet ist er über jede Entwicklung, jeden Schritt informiert, vergewissert sich aber auch regelmäßig mit Besuchen vom Fortschritt. Auch Mitglieder des Vereins begleiten das Projekt mit persönlichen Besuchen.

Man sehe den Kindern durchaus an, "dass sie alle ihr Päckchen zu tragen haben", berichtet Johanna Gebretsadik. Doch die Workshops und die Trainingsmöglichkeiten in der Gemeinschaft hinterließen positive Spuren: "Die Kinder wirken sehr glücklich, sie wachsen. Und sie lernen mehr und mehr, das Leben in den Griff zu kriegen und etwas daraus zu machen", sagt sie.

© SZ vom 21.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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