Fingerübungen:Gute Masche

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Finger statt Nadel: Annette Fischer, Fatma Ibo und Margit Kantioler stricken an einer Wollwurst, die später eine Regenrinne verschönern soll. (Foto: Stefanie Preuin)

Der Verein "Kunstverstrickungen" will Münchnern und Geflüchteten helfen - durch gemeinsame Handarbeit

Von Melanie Staudinger

Einfach die Schlaufe am linken Daumen einhängen und die Wolle dann um die Finger herum ziehen. "Hinten, vorne, hinten, vorne", erklärt Agnes Maria Forsthofer und lässt ihren Faden geschickt um ihre Hand gleiten. Noch ein paar kleine Griffe und ein Ziehen und schon entsteht eine kleine Strickwurst. Die anderen Frauen im Raum schauen noch ein wenig ungläubig. Denn während bei Forsthofer die Wollwurst wächst und wächst, zeichnet sich bei ihnen eher ein Wollwust ab. Fingerstricken nennt sich die Technik, die Forsthofer da gerade im Münchner Frauenforum vorstellt. Nach ein paar Minuten zeigt sich: Das kann jeder. Und Spaß macht das Ganze obendrein. "Letztens habe ich einer Vierjährigen zugeschaut, die 2,40 Meter in zweieinhalb Stunden gestrickt hat", sagt Forsthofer. Frauen, Mädchen, aber auch Jungs und sogar Männer waren schon in ihren Kursen dabei.

Mit ihrem Verein "Kunstverstrickungen" will Forsthofer ihren Beitrag zur Integration von Geflüchteten leisten. Als 2015 all die Menschen aus Syrien und Irak, aus Afghanistan, Eritrea, Somalia oder Senegal in München ankamen, da gingen Forsthofer und ihre Mitstreiter in die Erstaufnahmeeinrichtung in der ehemaligen Bayernkaserne. "Die Nähstube in der Lernwerkstatt/Halle 36" nannte sich das Projekt. Statt sich zu langweilen, konnten Frauen wie Männer dorthin kommen und nähen.

"Heute ist der Bedarf ein anderer", sagt Forsthofer. Es gehe nicht mehr darum, die Neumünchner willkommen zu heißen und ihnen eine Abwechslung zum tristen Leben in einer Asylunterkunft zu bieten, sondern ihnen zu helfen, in der Gesellschaft anzukommen, einen Platz zu finden. Kunstverstrickungen will Menschen miteinander ins Gespräch bringen, ein Kennenlernen ermöglichen - über die gemeinsame Handarbeit. Das neue Projekt, die rollende Nähstube, kommt daher in die Unterkünfte, in Schulen oder Sozialhäuser, dahin eben, wo die Menschen leben und lernen. Es wendet sich nicht nur an Geflüchtete, sondern an Münchner aus allen Nationen, wie Forsthofer betont. "In der digitalen Welt haben viele Menschen wieder das Bedürfnis nach etwas Handfestem, etwas Analogem", betont sie.

Im Frauenforum jedenfalls kommt das stricknadellose Stricken, auch Urban Knitting genannt, gut an. "Kunstverstrickungen" passt ins Konzept: Die Einrichtung versteht sich als offener Treffpunkt für Frauen, die sich beruflich oder persönlich neu orientieren wollen, als Informations- und Beratungseinrichtung, als Veranstaltungsort und Initiator für aktuelle Initiativen und Projekte. Nicht nur Agnes Maria Forsthofer ist zu Gast in den Räumen des Vereins an der Rumfordstraße.

An den Wänden hängen Bilder, gemalt von Frauen mit Fluchthintergrund, die sich regelmäßig in der internationalen Gruppe des Vereins Seidlvilla treffen. Eines davon ist von Fatma Ibo, die mit ihrem Mann und ihren Töchtern aus Aleppo nach Deutschland geflohen ist. Sie hat ihre Heimatstadt gemalt: die Häuser vom Krieg zerstört, die jungen Bewohner geflüchtet, nur die Alten blieben zurück. Ein nachdenkliches Bild, das die fröhliche Strickstimmung aber nicht dämpft. Denn im Frauenforum hätten alle Themen Platz, die die Frauen in München bewegten, sagt Leiterin Gundel von Trentini. Ein Zeichen des guten Miteinanders ist nun vor dem Frauenforum zu sehen: Dort haben die Frauen zwei Regenrinnen an nur einem Vormittag bunt eingestrickt - gegen die Wintertristesse.

Wer Interesse hat, seine Handarbeitskenntnisse in der mobilen Nähstube weiterzugeben, kann den Kennenlerntag am Montag, 18. Dezember, von zehn bis 17 Uhr im Ruffinihaus am Rindermarkt besuchen.

© SZ vom 18.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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