Filmfest:Das Kino sind wir

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Die Narren am Nabel der Cinephilie - das letzte Filmfest von Eberhard Hauff.

Fritz Göttler

(SZ vom 28.6.2003) — Ein Zug, in dem das wirkliche Leben spielt, so fängt das Filmfest diesmal an. Zielstrebig zieht er vorbei in der Abenddämmerung, so fahrplanmäßig exakt wie der in Chihiros Zauberland, bunt illuminiert und von sanftem Pop animiert, es singt Bryan Adams. Und in gehöriger Entfernung vom Bahndamm, am Fenster eines Gebäudes stehen die Zuschauer, gucken sehnsüchtig und träumen, ob sie auch mal ein Teil sein mögen dieser Welt.

Kino in reinster Form

Kino in reinster Form ist dieser Zug, in "Dom Durakov" von Andrej Kontschalovskij, mit dem das Filmfest heute eröffnet wird. Münchens 21. Fest, das letzte unter Leitung von Eberhard Hauff, im kommenden Jahr ist Andreas Ströhl dran.

Hauff hat das Filmfest einst in Fahrt gebracht, aber er war auch verantwortlich dafür, dass manche Kurs- und Tempowechsel dann verschlafen wurden. Für Experimentierlust waren die Münchner nie bekannt, aber seit ein paar Jahren, scheint es, hat das Filmfest ein konkretes Ziel nicht mehr, es ist nichts geblieben als Eigenmotorik.

Die Reihen, die anfangs - engagiert besorgt von Ulla Rapp, Klaus Eder, Ulrich Maass - Ordnung und Konturen bringen sollten ins Kinoangebot - jüngstes deutsches neben unabhängigem amerikanischen Kino, Neues aus den eigentlichen Zentren des Weltkinos, vom lateinamerikanischen, französischen, asiatischen Markt — haben ihre Effizienz eingebüßt. Und mit der sinnlosen Übersättigung durch deutsche TV-Movies sind weder die Branche noch die Kritiker glücklich.

Kontschalovskijs Film "Haus der Narren" ist ein starkes Stück Kino, eine Parabel von einem russischen Asyl, dessen Insassen in die Wirren des Tschetschenien-Krieges geraten. Er könnte das Publikum der Eröffnungsgala gehörig durchschütteln - das früher sommerliche Annehmlichkeiten wie "Amélie" oder den "Sohn der Braut" genießen durfte.

Kontschalovskijs Film hat auf dem Festival von Venedig den Großen Preis der Jury gewonnen, das ist bald ein Jahr her - und es ist nicht der einzige Venezianer im Münchner Programm. Keine Spur aber von dem, was eben in Cannes erregte Diskussion provozierte, "Dogville", "Elephant", "The Brown Bunny" ...

Es ist ein Vakuum auf dem Filmfest entstanden, eine Geschichtslosigkeit, die den Filmen schaden muss. Die großen A-Festivals können diesen Eindruck durch Bombast übertönen, durch roten Teppich und Glamour. Berlin ist eben dabei, sich an internationale Standards anzupassen, wohin das im schlimmsten Fall führen könnte, hat gerade Cannes gezeigt - nun blickt man gespannt, wie Venedig sich dagegen positioniert.

Die Chance für München

München und die andern Nicht-A-Festivals sollten ihre Chance nutzen, Kino historisch zu präsentieren. Zum Beispiel durch eine richtig durchdachte Retrospektive, im Filmmuseum. Da kann auch keiner mehr mit dem blöden Vorurteil der Provinzialität kommen.

Es gab ja eine Zeit, da war Schwabing der Nabel des Weltkinos - durch Leute wie Lemke, Thome, Enke, E. Schmidt, Straub. An diese Zeit erinnert "Die weißblaue Leichtigkeit des Seins" von Angelika Wittlich (Samstag 19 Uhr, Filmmuseum). "Wir dachten, wenn wir Filme machen, würden wir auch die Mädchen kriegen", erinnert sich Klaus Lemke. Hatari! Einen besseren Grund, Kino zu machen, hat bislang keiner gefunden.

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